Das, was ich einmal nach einer Weihnachtsfeier erlebt habe, könnte man so oder ähnlich in diesem Alphabet vielleicht auch unter B wie Betriebsfeier
oder O wie Oktoberfest nachlesen, wenn es diese Artikel bereits gäbe.
Denn es läuft doch immer gleich ab: Menschen, die sich ein bisschen kennen, kommen sich unter Alkoholeinfluss näher und wollen sich - unter diesem Blickwinkel noch einmal neu betrachtet - plötzlich noch viel näher kennen lernen. Bei Weihnachtsfeiern kommt im Gegensatz zu anderen Zusammenkünften mit Alkohol aber noch der Aspekt der Weihnachtszeit hinzu, die an sich ja schon eine sehr schmusige ist. In dieser Zeit gelingt das Sich-näher-kommen-Wollen gleich noch viel besser. Mir ist das einmal passiert. Ich bin einmal einem Kollegen nach einer
Weihnachtsfeier etwas zu nah gekommen. So nah, dass er am nächsten Morgen bei mir im Bett lag, worüber ich sehr erschrocken war. Ich sagte:
„Handtücher liegen links im Badezimmerschrank, ansonsten beantworte ich ab jetzt keine weiteren Fragen mehr", zog die Decke über den Kopf, ging in Gedanken die verschiedenen Fluchtmöglichkeiten aus meiner Wohnung durch und plante mein Leben in einem fernen Land, das ich undercover mit neuen Papieren und nach einer aufwendigen Gesichtsoperation führen würde.
Weil ich aber niemanden kannte, den ich wegen eines neuen Passes anhauen konnte, nahm ich mir zur Sicherheit erst mal die nächsten drei Tage frei: Zeit gewinnen (dabei wurde mir klar, wo der Ausdruck „nach Diktat verreist" seinen Ursprung haben könnte); denn noch schlimmer, als mit einem Kollegen im Bett aufzuwachen, ist für mich nur die Vorstellung, mit diesem Kollegen am Tag danach in der Konferenz, in der Kaffeeküche oder am Kantinentisch zu sitzen.
Für mich ist ein Techtelmechtel mit einem Kollegen der größte zwischenmenschliche Unfall, kurz nach Mit-dem-Freund-der-Freundin-was-haben und vor Mit-jemanden-was-gehabt-haben- an-dem-man-sich-nicht-erinnern-kann. Ich habe zwar noch nie was mit dem Freund einer Freundin gehabt, aber das stelle mir ähnlich schlimm vor.
Die ganze Sache ging dann aber überraschend gut aus. Zwar kam nach einiger Zeit natürlich alles raus, und der Kollege musste für dieses Magazin einen langen Strafaufsatz über die Weihnachtsfeier schreiben, den man hier nachlesen kann. Die anderen Kollegen setzten dazu süffisante Gesichter auf, die zu sagen schienen: Mit diesem Thema kennst du dich doch aus, Freundchen!
Aber trotz den etwas holperigen Anfangstagen wurden wir ein sehr verliebtes Paar und sind es bis heute geblieben. Vor sechs Jahren muss das alles nun gewesen sein, ungefähr. Um genau zu sein: Es war heute, am 12.12., genau heute vor sechs Jahren war das, das weiß ich natürlich ganz genau. Am Montag ist wieder Weihnachtsfeier bei uns im Verlag. Ich weiß noch nicht, ob ich hingehe. Denn einen kleinen Haken hat die ganze Sache schon: Seit dieser Weihnachtsfeier finde ich jede andere irgendwie langweilig.