Hybrid

Ein Zentaur, das iPhone und Barack Obama haben etwas gemein.

Es gibt Worte mit toxischer Wirkung, was man daran sieht, dass sich die Wahrnehmung der Wirklichkeit verschiebt und die Dinge ihren Zusammenhalt verlieren, sobald man eines dieser Worte auf die Welt anwendet. »Hybrid« ist so ein Wort, und schon dieses tückische y, das viel zu eng zwischen das majestätische H und das behäbige b geklemmt ist, hätte einen misstrauisch machen können.

Im Grunde heißt »hybrid« ja bloß, dass da etwas zusammenkommt, was vorher nicht zusammen war: zwei Techniken, zwei Kulturen, zwei Getränke – aber nur arglose Menschen denken bei diesem Wort an den Prius von Toyota. Tatsächlich geht es um etwas anderes: Wir leben schon seit einer Weile und ohne es zu merken in einer hybriden Gegenwart, und wie immer, wenn etwas neu ist, gibt es am Anfang Schwierigkeiten. Die Latte Macchiato ist nur das bekannteste Beispiel, diese ungute Kombination von Milch und Kaffee. Ein anderes Beispiel ist die Fusion von Daimler und Chrysler, bei der Deutsche und Amerikaner so lange aneinander vorbeiredeten, bis sie merkten, dass sie noch nicht reif waren fürs hybride Zeitalter. Sehr viel erfolgreicher ist da im großen Stil China, das eine Hybrid-Version von Kapitalismus und Kommunismus fast bis zur Perfektion gebracht hat. Oder das Handy, das Telefon und Foto und Musik zugleich ist. Oder das iPhone, noch so ein Mehrfachhybrid, wo zu all dem noch Computer und Internet und Wasweißich kommt.

Und so kann man unser hybrides Leben heute durchdeklinieren: Die Menschen wohnen in Townhouse-Siedlungen, die halb Dorf sind und halb Stadt, sie kaufen an der Tankstelle ein, wo es Benzin gibt, aber auch Brötchen, oder sie bestellen sich gleich etwas bei Amazon, ein Buch oder doch lieber einen Staubsauger.

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Manche von ihnen lesen Monocle, wo man nie sicher sein kann, ob das eine Zeitschrift ist oder ein Buch und wo sich auf besonders hybride Weise der böse Luxus und das gute Gewissen verbinden. Und so geht das weiter: Kleider kauft man dort, wo man sich auch die Haare schneiden lassen kann, so macht das nicht nur das schicke Freemans in New York.

Im Fernsehen läuft ein Doku-Drama, abends isst man in einem bayerisch-japanischen Restaurant, im Sommer geht es zum Kiten, halb Wellenreiten, halb Fallschirmspringen, im Winter packt man das Snowboard ein, halb Ski, halb Skateboard – und der neueste olympische Sport 2010 in Vancouver heißt Skicross und ist eine Mischung aus alpiner Abfahrt und rowdyhafter Verfolgungsjagd. Wie gesagt, die Wirklichkeit beginnt sich aufzulösen und einen geheimen Plan zu offenbaren.

In Amerika, dieser hybriden Ur-Nation, ist das besonders deutlich. Hier reden sie schon von der »Krise des weißen Mannes«, weil das neue soziale Ideal der Halb-Amerikaner ist, halb-indisch, halb-schwarz, halb-halb. Und es gibt sogar schon »Whiteness Studies«, wie für jede ordentliche künftige Minderheit. Anders gesagt: Multikulturalismus ist hybrid, Migration ist hybrid, die multipolare, die »post-amerikanische Welt«, wie Fareed Zakaria das nennt, der indischstämmige Chefredakteur der Newsweek International, unsere ganze Zukunft ist hybrid – das Lineare hat seinen Lauf verloren, das Alltägliche vereint sich mit dem Welthistorischen.

Und natürlich haben wir einen hybriden Weltpräsidenten, Barack Obama, der in einer gewissen Wahrnehmung immer noch halb Herrscher und halb Diener zu sein scheint, oder warum wurde bei seiner Amtseinführung so oft davon geredet, dass er im Weißen Haus wohnt, das doch »von Sklaven gebaut« wurde?

Das Wort »hybrid« konstruiert nun keine Wirklichkeit, es hilft vielmehr, sie zu beschreiben und damit zu begreifen – vielleicht ist also die erste, die analytische Wirkung toxisch, im Weiteren ist die Wirkung eher therapeutisch. Was mit dem Wort »Multikulti« so gründlich danebenging, das könnte gelingen, wenn man versteht, dass »hybrid« keine Option ist, sondern Realität. Die ständig sich verändernde Welt, in der wir leben.

Foto: AKG