15 Stunden Verspätung

In den vergangenen Wochen schilderten viele Leserinnen und Leser unserem Kolumnisten ihre schlimmmsten Bahn-Erlebnisse. Einige davon gibt er hier wieder – auch wenn die Lektüre unangenehm bis schmerzhaft ist.

Illustration: Nishant Choksi

Mich erreichten viele Zuschriften in den letzten Monaten – die meisten, nachdem ich geschildert hatte, wie und warum ich mich manchmal für die Deutsche Bahn schäme, insbesondere vor ausländischen Gästen. Ein Fremdenführer aus Köln schrieb mir daraufhin, dass er angefangen habe, verspätet zu seiner Veranstaltung kommende Touristen zu fragen, warum sie unpünktlich seien – bislang sei immer die Bahn genannt worden. »Wir sind diesen Sommer zwei Wochen mit dem Zug durch Japan gefahren«, fuhr er fort. »Als tatsächlich ein einziges Mal ein Zug fünf Minuten Verspätung hatte, war es allen so peinlich, dass sich der Zugbegleiter gefühlte 10 Minuten entschuldigt hat.« Das geht in Deutschland natürlich nicht, denn dann könnten die Zugbegleiter nichts anderes mehr machen.

Das Schimpfen auf die Bahn ist Volkssport – tatsächlich muss man sich fragen, auf wen man denn schimpft. Für vieles, was schief läuft, ist die Politik verantwortlich. Der aktuelle Verkehrsminister und seine CSU-Vorgänger haben sich als Lobbyisten der Autobranche hervorgetan. Aber auch in den rot-grünen Regierungsjahren wurde der Börsengang der Bahn vorbereitet. Schon unter Gerhard Schröder wurde an der Infrastruktur gespart. Das rächt sich heute. Marode Technik verursacht Verspätungen. Es wird Jahre dauern, diese Schäden am System zu reparieren. Allerdings kann man wirklich nicht alles, was bei der Bahn schief läuft, den Politikern anlasten.  Ein paar Beispiele:

Die Großzügigkeit der Bahn kannte keine Grenzen – als Wiedergutmachung durfte sich jeder Fahrgast einen Keks im Bordbistro abholen

Meistgelesen diese Woche:

Ein Leser wartet mit seiner Frau auf einen ICE – auf dem Weg zu einem Reha-Aufenthalt, mit viel Gepäck.  Zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges wird ein Gleiswechsel von vier nach drei durchgesagt. Weder auf dem Weg nach unten noch auf dem neuen Gleis nach oben, gibt es einen Aufzug. Als das Ehepaar (»nicht mehr die Jüngsten«, wie der Leser schreibt) eine Treppe runter und eine andere wieder hoch gehetzt ist, kommt auf dem Bahnsteig, an dem der Zug jetzt fahren soll, die Durchsage, dass der Zug doch auf dem ursprünglichen Gleis fahre. Mit Gepäck wieder zurück – um dort wiederum die Durchsage zu hören, dass der Zug doch auf dem Ausweichgleis fahre – und am Ende fuhr er am ursprünglichen Gleis ein. Vier Gleiswechsel in zehn Minuten! Es gab übrigens keine Auflösung von Verstehen Sie Spaß?, nur ein völlig erschöpftes Ehepaar, das den Sport eigentlich erst in der Rehaklinik hätte beginnen sollen, und zwar nach ärztlicher Voruntersuchung.

Eine Leserin aus Österreich schrieb mir, dass ihr Zug auf freier Strecke liegen blieb – und die Zugbegleiterin abgetaucht war. Rückfragen für Anschlüsse nicht möglich, am Ende kam sie mit 15 Stunden Verspätung in Wien an.

Eine Frau aus dem Münsterland beschrieb mir, wie sie in München in einen ICE stieg, der aus zwei Teilen bestand. Einer sollte nach Hamm in Westfalen, der andere nach Köln fahren, in Würzburg sollten die Einheiten getrennt werden. Leider hatten die Bahner in München die Zugteile verwechselt, so dass in Würzburg sämtliche Fahrgäste den Zugteil wechseln mussten, Verspätung am Ende: zwei Stunden. Zusätzlich, es war Hochsommer, fiel dann noch die Klimaanlage aus. Die Großzügigkeit der Bahn kannte keine Grenzen – als Wiedergutmachung durfte sich jeder Fahrgast einen Keks im Bordbistro abholen.

Liebe Bahn-Verantwortliche und -Mitarbeiter: Da ist noch Luft, um mit guten Vorsätzen und Taten, mit etwas Nachdenken und Empathie ein besseres Bahn-Jahr 2020 für uns Fahrgäste einzuläuten. Noch bevor die zusätzlichen Milliarden des Bundes alles sehr viel besser machen werden – hoffentlich.