Das Verhalten mancher Mitreisender ist mir ein Rätsel. In Regionalzügen und S-Bahnen gibt es Klappsitze, die in Längsrichtung des Zuges angeordnet sind. Wenn keiner darauf sitzt, ist die Sitzfläche eingeklappt, dann befindet sich davor freier Platz für Fahrräder, Kinderwagen und Rollstühle. Diese Sitze sind nicht sonderlich bequem, sie haben zwar etwas mehr Beinfreiheit als die anderen Plätze, aber dafür weder Kopfstützen noch Armlehnen, und die Rückenpolster reichen nur bis zur Brustwirbelsäule. Und während der Fahrgast bei den sonst üblichen Sitzgruppen ein klein wenig Privatsphäre hat, sitzt man auf diesen Klappsitzen im Durchgang ähnlich öffentlich wie in der Bahnhofshalle. Kurzum: Ich finde diese Sitzplätze sehr ungemütlich.
Trotzdem erlebe ich es ständig, dass viele der Klappsitze belegt sind, obwohl jede Menge normaler Plätze frei wären. Wer’s mag, von mir aus. Nur leider bleiben die Menschen auf den Klappsitzen auch dann fast immer sitzen, wenn Fahrgäste zusteigen, für die nur hier Platz ist. Obwohl Piktogramme und Schilder eindeutig aussagen, dass dieser Bereiche des Wagens für Passagiere mit Kinderwagen, Rollstühlen und Fahrädern vorgesehen ist, habe ich schon oft beobachtet, wie Menschen mit Fahrrädern in der Menge ohne Halt balancieren müssen. Da herrscht anscheinend die Devise: Ich war als erster hier, das ist mein Platz, den gebe ich nicht her.
Was denken sich diese Leute? Sollen wir die Fahrräder hoch über die Köpfe wuchten?
Oder schlimmer noch: Wenn man diesen Platz für das benutzt, für das er gedacht ist, erntet man Unverständnis. Ich steige zum Glück oft an Stationen zu, an denen der Zug noch recht leer ist. Vor einigen Wochen rollte ich also mein Rad in die S-Bahn und stellte es samt Satteltaschen auf den freien Platz vor den Klappsitzen ab. Die S-Bahn-Waggons füllten sich, die Klappsitze neben mir auch, natürlich fast ausschließlich mit Fahrgästen, die keine rollenden Gefährte dabei hatten. Plötzlich hörte ich eine Frau im Kostüm zu ihrer Nachbarin sagen. »Wirklich unverschämt, wie breit sich hier manche mit ihren Rädern machen.« Ich überhörte es, mein Rad stand ja gut. Aber dann, als ich es vor dem Aussteigen holte, sagte die Frau doch tatsächlich zu mir: »Finden Sie es nicht ein bisschen dreist, so viel Platz zu belegen?« Für eine ausführliche Debatte blieb keine Zeit mehr, ich konnte aber zumindest noch entgegnen: »Dieser Platz ist für Räder gedacht!« Was denken sich diese Leute? Sollen wir die Fahrräder hoch über die Köpfe wuchten?
Die Bahn schreibt dazu: »Grundsätzlich dürfen alle Reisenden die Klappsitze im Mehrzweckabteil nutzen. Allerdings haben entsprechend der Piktogramme mobilitätseingeschränkte Reisende, Kinderwagen und Fahrräder hier Vorrang.« Aber nicht mal auf Kinderwagen wird Rücksicht genommen. Neulich stellte ich unseren in einem fast leeren Regionalexpress in den entsprechenden Klappsitzbereich. Von weitem sah ich etwas später, wie sich eine Gruppe junger Leute auf die benachbarten Plätze setzte – für den, der als letztes kam, war kein Sitz mehr übrig. Der junge Mann drückte gegen den Kinderwagen, um sich Zugang zum Klappsitz zu verschaffen. Wollte er den Kinderwagen einfach auf den Gang schieben? Ich war kurz davor aufzuspringen, aber wohl weil der Kinderwagen mit der Bremse arretiert war, gab er auf und setzte sich woanders hin.
»Die Erfahrung zeigt, dass unsere Fahrgäste im Regelfall aufeinander Rücksicht nehmen und etwaige Konfliktfälle selbst lösen«, schreibt die Bahn. Ich erlebe es eher so, dass Fahrgäste mit Rädern und Kinderwagen kapitulieren; eine entsprechende Begebenheit mit einem Rollstuhlfahrer habe ich noch nicht erlebt. Laut Bahn können Fahrgäste sich jederzeit an Mitarbeiter wenden, wenn die Klappsitze von Unbefugten belegt sind: »Die Kundenbetreuer im Zug sind selbstverständlich die richtigen Ansprechpartner für unsere Kunden.« Aber es wäre doch schön, wenn es auch ohne das ginge und die Klappsitz-Besetzer Platz machten für Menschen mit Rollstühlen, Kinderwagen und Fahrrädern. Vielleicht ja sogar von alleine, ohne dass man sie darauf ansprechen muss.