Reeeechts-um!

Preußen kommt wieder: In Berlin ist es auf einmal schick, sich auf stramme Ordnung und historische Werte zu beziehen. Was soll der Quatsch?

Für den Alten Dessauer läuft es heute ausgezeichnet. Seit zwei Stunden stolziert der preußische General über den Hof des Kronguts Bornstedt, nicht weit vom Potsdamer Schloss Sanssouci, und übt mit der Leibgarde des Königs das Exerzieren. Bajonett, Pulverstutzen, alles dran. »Präääsentiert das Gewehr, habt acht, rechts um« – die Soldaten des 6. Infanterieregiments, die im Volk wegen ihres Gardemaßes von über 1,90 Meter als »Lange Kerls« bekannt sind, folgen zackig aufs Wort. Außenrum Zuschauer. Der Dessauer spricht einen von ihnen an, einen jungen Mann, der über die perfekte Körpergröße verfügt und auch sonst ganz anständig aussieht. »Was macht er denn von Beruf?«, fragt der Alte Dessauer den Zuschauer. »Friedhofsgärtner«, antwortet der Angesprochene und wird rot.

»Friiiiedhofsgärrrtner?«, schnurrt es unter der Puderperücke des Kommandanten, »ja, dann soll er doch mal ein Langer Kerl werden, dann sieht er mal was vom Leben.« Der Alte Dessauer hat wie immer die Lacher der Umherstehenden auf seiner Seite. Und der junge Mann gibt dem General seine Daten, um beim nächsten Mal selbst als Langer Kerl dabei zu sein.

Es ist Januar 2008, der echte General Leopold von Anhalt-Dessau weilt seit 261 Jahren unter den Toten, die Langen Kerls des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. sind seit über zwei Jahrhunderten aufgelöst. Preußen, das Land, dem sie dienten, ist 1866 im Deutschen Kaiserreich aufgegangen und wurde 1947 von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges endgültig für aufgelöst, vorbei und abgehakt erklärt.

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Aber was ist schon endgültig? Gerade hat sich tatsächlich ein 21-jähriger Friedhofsgärtner aus Berlin-Prenzlauer Berg entschieden, fortan preußischen Drill zu exerzieren. Der Alte Dessauer heißt eigentlich Klaus Brucker, war lange Zeit Unteroffizier bei der deutschen Bundeswehr und machte sich beim Balkankrieg in Sarajevo verdient. Seit 2002 zieht er sich regelmäßig die blau-weiße Uniform an, um den Langen Kerls den spitzen Ton anzugeben. Die traditionsbewusste Laienspielschar gibt es schon seit Jahren. Lange Zeit war das nur ein Nischenvergnügen, aber die Zahl der Teilnehmer wächst. Warum? Wenn man ihnen beim Exerzieren zusieht, dann scheint es, als hätten die jungen Männer in ihren Gardistenuniformen so etwas wie eine geschichtlich verankerte Identität gesucht – und gefunden.

Noch vor wenigen Jahren haben linke Gruppen ihnen das öffentliche Strammstehen mit Gegendemos verleidet, inzwischen aber wird ihr Programm von der brandenburgischen Landesregierung und bei Staatsbesuchen vom Bundesinnenministerium geschätzt. »Sogar für die Queen durften wir schon strammstehen«, sagt einer der Hobby-Soldaten. Und der findige Unternehmer, der das Krongut Bornstedt betreibt, hat ihnen dort eine stilgerechte Heimat gegeben. Die Truppe passt perfekt zum monarchieseligen Ambiente des Brauhauses und zieht Touristen und Schaulustige an.

Es ist noch nicht lang her, da schien das alte Preußen wohlverdient im finstersten Moderloch der Geschichte versunken, für immer. Verschrien als Militärmonarchie und Wegebereiter beider Weltkriege, war es bestenfalls im Scherz für irgendwas gut – als Karikatur in den knalligen Uniformen der rheinischen Karnevals-Funkenmariechen oder als Schimpfwort der Bayern für alle irgendwie Norddeutschen.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Endlich mal eine deutsche Vergangenheit, auf die man sich berufen mochte – man konnte die Stoßseufzer förmlich hören in der jungen Berliner Republik.)

Ergänzend zum Artikel finden Sie hier...Preußen ist wieder sexy (Bildstrecke und Infokasten)

Dann erschien 2007 das gefeierte Buch Preußen – Aufstieg und Niedergang 1600–1947. Darin zeichnete der Cambridge-Historiker Christopher Clark plötzlich ein Bild des untergegangenen Reiches, das den dunklen Klischees energisch widersprach. Ein moderner Reformstaat sei Preußen gewesen, ein offenes, fast liberales Einwanderungsland, hieß es da. Und mehr: Preußen sei in keiner Weise für Hitler haftbar zu machen. In Clarks Buch erscheint die Welt König Friedrichs des Großen, aber vor allem der moderne Reformstaat seines Großneffen Friedrich Wilhelm III. mit seinen Vordenkern Hardenberg, Humboldt und Freiherr vom Stein als so etwas wie der ideale, offene, leistungsstarke Staat.

Endlich mal eine deutsche Vergangenheit, auf die man sich berufen mochte – man konnte die Stoßseufzer förmlich hören in der jungen Berliner Republik. Medien wie der Spiegel sprangen auf die Thesen an. Und nach und nach fielen in hauptstädtischen Tafelgesprächen immer mehr lobende Worte für preußische Tugenden und Disziplin. Inzwischen, noch ein bisschen später, ist festzustellen: Der Geist des alten Preußen ist wieder großräumig in der Mitte der Berliner Gesellschaft angekommen.

Die Bewohner der Nobelvillen von Potsdam tun sich da besonders hervor, Springer-Chef Matthias Döpfner, Wolfgang Joop, Günter Jauch. Der tat für den Wiederaufbau des Potsdamers Stadtschlosses vier Millionen Euro auf. Joop, Jauchs unmittelbarer Nachbar in der Seestraße (und Potsdamer von Geburt), hat eine etwas spirituellere Verbindung zum alten Preußen, er spricht gern von den Engeln auf den Königsgebäuden, die ihm schon als Kind diverse Einsichten zugeflüstert haben sollen. Er sagt: »Über Preußens Könige kann man geteilter Meinung sein, über ihren Geschmack und Kunstverstand nicht.« So ähnlich sehen das wohl auch Nadja Auermann und Franziska Knuppe – die blonden Models wohnen ebenfalls in Potsdam und sind immer gern dabei, wenn die neue preußische Republik sich selber feiert.

Constantin Rothenburg, Hauptstadt-Bonvivant und Kreativdirektor eines Hochglanzmagazins, teilt die Meinung seines Freundes Joop und hat den klassischen Salon der alten Hauptstadt wiederentdeckt. Er lädt regelmäßig zum »preußischen Abendmahl« in seine Stadtwohnung. Da sitzt dann Celia von Bismarck an der preußisch-blau verzierten Tafel, daneben die Galeristin Anna Augstein, der Bild-Kolumnist Reimer Claussen, die ehemalige Chefredakteurin der deutschen Vogue Angelika Blechschmidt, dazu Vera »Veruschka« von Lehndorff, das noch in Ostpreußen geborene Ex-Supermodel. Als Hauptspeise werden kulinarisch aufgerüschte Königsberger Klopse serviert. Eine Besucherin erzählt, wie sie mit einem italienischen Windspiel – das ist ein Hund, die Lieblingsrasse Friedrichs des Großen – durch den Park von Sanssouci lief. Der Hund habe völlig respektlos auf das Mausoleum von Friedrichs Schoßhündchen uriniert, als plötzlich einer der Parkwächter auftauchte. »Aber der lachte nur und sagte: Det iss ja so eener wie vom ollen Fritz, der darf das, der is ja praktisch hier zu Hause.« Die gediegene Gesellschaft klirrt vor Vergnügen mit den Champagnergläsern.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was ist da los? Wie kommt das alles? Und warum jetzt? )

Überall preußelt es in der Hauptstadt. Wohin man blickt: lustvolle Revision und Restauration. In den Auslagen stapeln sich die Büsten des »Alten Fritz« – mal aus Gips, mal aus edlem KPM-Porzellan. Die Berlin-Brandenburgische Akademie lädt in unregelmäßigen Abständen zum »Salon Sophie Charlotte«, der nach der Mutter des ersten Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. benannt ist, einer Förderin der Wissenschaften. Gerade erst widmete man sich dem Thema »Kennen Sie Preußen wirklich?«, Prominente wie Anna Thalbach rezitierten aus Kleists Werken, es gab Vorträge und Workshops, Kinder spielten in den Kleidern der alten Könige. 1800 Menschen zählte der Kontrolleur am Eingang zu den vielen Sälen der klassizistischen Bauten rund um das Forum Fridericianum, wo das Festival stattfand. Unter den Gästen der Künstler Marc Brandenburg, Sohn eines schwarzen US-GIs, der sich selbst vor Kurzem mit Pickelhaube malte und so plötzlich zum Thema in den Hauptstadt-Feuilletons wurde.

Was ist da los? Wie kommt das alles? Und warum jetzt? Es wirkt fast so, als hätte es die Hauptstadtbevölkerung nicht mehr so ganz mit sich ausgehalten. Die 18 Jahre kurze Geschichte der Berliner Republik scheint so glanzlos. Außer einem schon wieder zerfallenden Holocaust-Mahnmal, mutlosen, dafür überdimensionierten Bauprojekten wie Kanzleramt oder Hauptbahnhof und einer selbstgefälligen Partyszene ist nicht viel Großes entstanden. Worauf soll man sich beziehen in dieser Stadt? Blickt der Berliner hinter sich, sieht er hauptsächlich Tod und Gewalt.

Weltkriege, Teilung, Mauermorde. Was bleibt, sind die Zwanzigerjahre, die kurze Zeit, in der die Stadt Weltstadt war. Aber man kann ja nicht ewig Gesangsrevues veranstalten und jede Cabaretbühne »Palast« nennen. Irgendwann musste jemand kommen und nach etwas anderem suchen – um schließlich das Bild Preußens als zielstrebig ins Dritte Reich voranmarschierenden Kriegsstaat in Frage zu stellen.
Am Hausvogteiplatz in Berlins Mitte hat der Unternehmer Wilhelm von Boddien eine Art Generalsekretariat der preußischen Renaissance eröffnet. Er ist der Hauptinitiator des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses. »Mir geht es in erster Linie um die Wiederherstellung der baulichen Einheit von Berlins Mitte«, sagt Boddien – allerdings vertrete er privat »sehr wohl die Meinung, dass Modernität, Wirtschaftlichkeit und Bescheidenheit der preußischen Staatsführung für das heutige Deutschland Vorbild sein könnten.«

Im noblen Dahlem tummeln sich in einer Schülerverbindung namens »PV Borussia« Gymnasiasten und eifern laut Flugzetteln »großen Preußen« wie Bismarck oder Humboldt nach. Wenn es darum geht, die Charlottenburger Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-kirche zu retten, eilen der Preußenprinz Friedrich Wilhelm und seine Gattin herbei, werden von Landesbischof Huber herzlich hofiert und lauschen zusammen den Grußworten der Kanzlerin und den Kompositionen des Kaiserenkels Prinz Louis-Ferdinand.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der Historiker Christopher Clark, der mit seinem Bestseller Preußen 896 Seiten Grundlage für das neue Preußen-Gefühl geliefert hat, steht der frischen Luft, die der Flügelschlag des schwarzen Adlers neuerdings erzeugt, etwas ratlos gegenüber.)

Auch der durch Finanzaffären angeschlagene Westberliner Eishockeyverein ECC Preußen versucht mit dem Trend wieder auf die Beine zu kommen, indem man neben der gewöhnlichen Jugendarbeit eines Sportclubs auch noch »positive preußische Werte wie Gemeinsinn und Disziplin vermitteln möchte, ohne die man weder im Sport noch im Leben etwas erreichen kann«, wie der Jugendwart Oliver Schreiber unter heftigem Nicken seiner pubertierenden Spitzenspieler betont.

Selbst die Münchner Fernsehmoderatorin Nina Ruge diskutiert auf eigenen Wunsch für eine Berliner Tageszeitung mit Hartmut Dorgerloh, dem Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser, begeistert über das preußische Erbe und zitiert den Historiker Arnulf Baring, der meint, ohne Friedrich den Großen wäre die letzte deutsche Wiedervereinigung nicht möglich gewesen. Und Dorgerloh lässt sich zu dem vielsagenden Schlagwort hinreißen, dass Preußen zwar tot sei, »aber nicht erledigt«.
Und auf den Spielplätzen der Hauptstadt ist das Thema auch längst angekommen – wie viele Wilhelms, Friedrichs, Emmas und Gustavs da von ihren jungen Eltern gerufen werden, lässt sich kaum mehr zählen.

Der Historiker Christopher Clark, der mit seinem Bestseller Preußen 896 Seiten Grundlage für das neue Preußen-Gefühl geliefert hat, steht der frischen Luft, die der Flügelschlag des schwarzen Adlers neuerdings erzeugt, etwas ratlos gegenüber. Er sitzt vor der bunten Bücherwand seines Büros im St. Catharines’s College der britischen Universität Cambridge und betrachtet teils belustigt, teils überrascht, was sich da auf dem europäischen Festland tut. »Es freut mich sehr, dass mein Buch so populär geworden ist und es freut mich auch, wenn es den Deutschen einen ungezwungenen Zugang zu ihrer Geschichte ermöglicht hat. Aber das war nie meine Absicht«, sagt er. »Ich wollte keine Revision herbeiführen.« Clark hat in den Achtzigern im geteilten Berlin studiert und das Thema Preußen, wie er sagt, vor allem deshalb gewählt, weil er es reizvoll fand, eine abgeschlossene Geschichte zu behandeln, die keine Fortsetzung in der Gegenwart erfährt.

Nun ist es ganz anders gekommen, auch seinetwegen. »Das alte Bild der preußischen Geschichte hat in der BRD einen gewissen Zweck erfüllt, es sollte das Unfassbare der Katastrophe von 1933 erklären. Ich dachte eher, dass es problematisch wird, diesen Backstein aus der Mauer des deutschen Geschichtsbildes zu entfernen. Dass es so eine Art Befreiung bedeuten könnte, war mir nicht klar. Aber die Frage nach den Wurzeln und der Möglichkeit des Grauens ist doch dadurch letztlich noch brisanter, nicht wahr?« Anderthalb Stunden von Berlin entfernt, das brandenburgische Dörfchen Wustrau: Hier hat ein Preuße alten Schlages sein kleines Reich errichtet. Der 83-jährige Ehrhardt Bödecker hat 2000 sein Brandenburg-Preußen-Museum eröffnet.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Deutschland ginge es heute enorm besser, würde es sich an Preußen ein Vorbild nehmen, das Land hatte die geringste Arbeitslosenquote, die geringste Steuerbelastung, das höchste Bildungsniveau und mehr Nobelpreisträger als Frankreich, England und die USA zusammen«)

Wenn man ihm von Clarks Erkenntnissen erzählt, fragt sein stolzer Blick: »Und wer hat das immer schon gesagt?« Der ehemalige Richter und Privatbankier hat eine Galerie von Repliken der Gemälde der Kurfürsten, Könige und Kaiser malen lassen, seine Frau arrangierte Szenen des Alltagslebens im alten Königreich mit historischen Puppen in Vitrinen. An die 100000 Besucher waren schon da, darunter der ehemalige Ministerpräsident Manfred Stolpe. Unentwegt rattert Bödecker missionarische Thesen vor sich her. »Deutschland ginge es heute enorm besser, würde es sich an Preußen ein Vorbild nehmen«, sagt er, »das Land hatte die geringste Arbeitslosenquote, nur ein oder zwei Prozent, mit 54 Goldmark die geringste Steuerbelastung, das höchste Bildungsniveau und mehr Nobelpreisträger als Frankreich, England und die USA zusammen.«

«Außerdem sei das damals ein humaner und sehr toleranter Staat gewesen: In einem heutigen Preußen, behauptet Bödecker, gäbe es »selbstverständlich kein Problem mit Moscheebauten.« Nein? – »Natürlich nicht, sonst hätte der protestantische Staat seinerzeit wohl kaum am wichtigsten Platz des Königreiches zwischen Dom und Universität und Stadtschloss eine katholische Kirche gebaut.« Ebenso sei die Synagoge an der Oranienburger Straße ein Ergebnis preußischer Toleranz: »Die Straße musste nach preußischer Bauordnung in einheitlichem Stil entstehen, aber König Wilhelm hat diesen Bau gegen die Vorschriften ermöglicht und sogar die Inneneinrichtung spendiert!« Er wendet sich ab und tätschelt liebevoll das Reiterstandbild des Alten Fritz, das dekorativ neben ihm steht. So einen bekommt man eben nicht mehr.

Das sehen die Jugendlichen anders, die sich im Charlottenburger Studentenlokal »Zillemarkt« an einem Samstagnachmittag unter einem vergilbten Porträt Kaiser Wilhelms II. versammelt haben. Eine Sitzung der »Kaisertreuen Jugend Deutschlands«: Schüler und Studenten, die sich mit bloßer Sympathie für »Old Prussia« nicht begnügen wollen. Sie bedauern den Verfall der Eliten in der Bundesrepublik und wünschen sich eine konstitutionelle Monarchie zurück. Klingt naiv. »Wir wissen natürlich, dass unser Anliegen wenig Chancen hat, in nächster Zeit realisiert zu werden«, sagt Jens Schwarze, der Bundesvorsitzende. Dass der theoretische Thronfolger, Georg Friedrich Prinz von Preußen, stets betont, »keine politische Aufgabe« zu verfolgen und auf gar keinen Thron will, ist den kaisertreuen Jugendlichen egal. »Es ist sogar die Pflicht seiner Kaiserlichen Hoheit, sich aus politischen Ränkespielen herauszuhalten«, sagt der Aktivist Michael Sonntag in breitem rheinischen Akzent. »Nur so könnte er den Thron unbeschadet und als Kaiser aller Deutschen besteigen.« Na ja. Als Kaisertreuer hat man noch Träume.

Georg Friedrich, der 31-jährige Chef des Hauses Preußen, und seine ganze Familie halten sich bei all dem vornehm zurück. Aber sie genießen es, dass auf ihre Anwesenheit bei gesellschaftlichen Highlights wie etwa dem glamourösen deutsch-russischen Wirtschaftsball in der russischen Botschaft Unter den Linden größter Wert gelegt wird. Man ist wieder wer. Zumindest auf den Einladungslisten – bei einem der ersten größeren Auftritte standen mehrere Society-Fotografen ratlos vor dem ankommenden Prinzen, sie erkannten ihn nicht. Dabei sieht Georg Friedrich, Vorstandsvorsitzender der Prinzessin-Kira-von-Preußen-Stiftung, Schirmherr der Casino-Gesellschaft zu Berlin und Vorsitzender des Berliner Kuratoriums der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, seinem Ururgroßvater Kaiser Wilhelm II. ziemlich ähnlich, vom fehlenden Schnurrbart mal abgesehen. Einer der erfahrenen Knipser klärte die Kollegen unwirsch auf: »Das ist doch der, der heute Kaiser wär.«

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Wir alle stehen dann, mutig für einen Mann«, hallt es. »Kämpfen und bluten gern, für Thron und Reich.«)

Da hatte sich Georg Friedrich aber bereits ans Buffet zurückgezogen, um mit Wendelin Wiedeking, dem Chef von Porsche, und Ministerpräsident Platzeck zu plaudern. Einmal im Jahr, an jedem 27. Januar, versammeln sich die Anhänger des Kaisers, um dessen Geburtstag zu feiern, im kleinen Hof einer Bierbrauerei bei Leverkusen. Darunter die kaisertreuen Jugendlichen, der Vorsitzende des Bundes aufrechter Monarchisten, aber auch der russisch-orthodoxe Erzbischof von Düsseldorf.

Der örtliche Männergesangsverein und die Blasmusikkapelle intonieren die Kaiserhymne (die Melodie von God Save The Queen, mit dem Text »Heil Dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands, Heil, Kaiser Dir«). Die schwarz-weiß-rote Fahne weht im kühlen Januarwind, oben im Wohnzimmer des Bierbrauers erläutert der Vorsitzende die Anliegen der seiner Ansicht nach deutlich heraufdräuenden Monarchie. Ältere Herren tragen Uniformen mit Repliken von Orden längst ausgebluteter Einheiten. Unten im Hof verteilt ein sonderlicher Monarchist der Organisation »Tradition und Ehre« Flugblätter, sein Kleiderstil erinnert deutlich an den ermordeten Münchner Modevogel Moshammer. »Manchmal ist das schlagkräftigste Argument gegen die Monarchie der Monarchist«, entfährt es einem kaisertreuen Jugendlichen. Da wird aber schon zum zweiten Mal die Kaiserhymne angestimmt. »Wir alle stehen dann, mutig für einen Mann«, hallt es. »Kämpfen und bluten gern, für Thron und Reich.«

Die einzig wahren Erben des alten Preußen, die Nachfahren selbst, enthalten sich des öffentlichen Jubels. Keine fröhlichen Kaisergeburtstagsfeiern. Wenn, dann trifft man sich ohne großes Aufsehen in der Gruft des Berliner Doms – nur der innerste Kreis. Wie vor einigen Monaten zum Andenken an Prinz Louis Ferdinand I., der vor allem durch seine Kompositionen für Bratsche in Erinnerung geblieben ist. Eine nüchterne Szene: Unten in der Gruft steht der Großteil des festen Kerns der Hohenzollern-Dynastie, der Chef des Hauses Preußen, Georg Friedrich, hält eine kurze Ansprache. Der junge Prinz hat, wie es die Tradition will, ein Kreuz weißer Nelken mitgebracht. Es herrscht eine feierliche, unaufgeregte Stimmung.

Weiter weg als hier kann man nicht sein vom Kaisergeburtstag mit Blasmusik, von der kaisertreuen Jugend, vom Potsdamer Society-Gewusel, von der Wustrauer Preußen-Show, von den verkleideten Kindern im Sophie-Charlotte-Salon. Prinz Georg Friedrich schreitet mit dem Nelkenkreuz durch die Gruft, ein umständlicher Weg, die Särge stehen in wilder Anordnung hinter versperrten Eisengattern. Er versucht durch die Gattertür zum Grab des Vorfahren zu gelangen, dahin, wo das alte Preußen für immer ruht. Es dauert etwas, bis es endlich klappt. Die Tür klemmt.

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