»Ich bin Agnostiker und aus der Kirche ausgetreten. Wie soll ich mich verhalten, wenn ich bei Christmetten oder Hochzeiten zu einer (katholischen) Messe eingeladen bin? Aufstehen, knien, beten, um die Einladenden nicht zu enttäuschen? Oder unbeteiligt die Zeit ›absitzen‹ und sich vielleicht auch etwas fehl am Platz fühlen?« Johann D., München
Vor einigen Jahren habe ich schon einmal eine ähnliche Frage beantwortet, bei der es aber nur um das Aufstehen zu Gebeten bei Hochzeiten ging. Damals habe ich geantwortet, dass man aus Respekt gegenüber den Einladenden und der Zeremonie, für die sie sich entschieden haben, aufstehen sollte. Ja, man könnte sich sogar überlegen, ob man für einen Gott aufstehen sollte, an den man nicht glaubt, weil man sich schließlich wegen einer religiösen Zeremonie in ein Gotteshaus begeben und diesen Gott somit »zu Hause« aufgesucht hat.
Bei Ihnen geht es noch einen Schritt weiter, und der ist interessant: Kann der Respekt auch gebieten zu knien, wenn die Zeremonie es vorsieht und die anderen Anwesenden es tun? Wo liegt der Unterschied? Durch das Niederknien erkennt man die höhere Stellung desjenigen an, vor dem man kniet. In der Religion die der jeweiligen Gottheit, gegebenenfalls auch ihrer Vertreter. Im weltlichen Bereich kennt man es beispielsweise vom Kniefall Kaiser Barbarossas vor Heinrich dem Löwen in Chiavenna im Jahre 1176. Steigerungsformen sind der Fußfall, zu Füßen des Höheren auf die Knie zu fallen, die Proskynese, die Verneigung oder das Sich-zu-Füßen-Werfen mit einem Kuss in Richtung des Höheren, die Prostratio, das vollständige Niederwerfen auf dem Boden, oder der Kotau, das Sich-Niederwerfen vor dem chinesischen Kaiser.
Allen gemein ist die Idee der Unterwerfung, die man schon der Erzeugung des Höhenunterschieds entnehmen kann. Im Gegensatz zum Aufstehen, das ja gerade gleiche Höhe, Augenhöhe herstellen soll, ist das Niederknien keine Geste des Respekts oder der Achtung, sondern eine der Unterwerfung oder Demut. Und die kann man gegenüber einem Gott, an den man nicht glaubt, ebenso wenig verlangen, wie zu ihm zu beten. Deshalb: Aufstehen ja, knien und beten nein.
Illustration: Serge Bloch