SZ-Magazin: Sie arbeiten seit zehn Jahren als Hochzeitsplanerin. Wie viele »schönste Tagen im Leben« erleben Sie pro Jahr?
Melanie Grove: Ich bin auf 25 Hochzeiten etwa. Manchmal habe ich zwei an einem Wochenende, da muss ich schauen: Welcher Kunde schafft es auch alleine oder möchte es sogar? Bei vielen kümmere ich mich nicht um die ganze Hochzeit, sondern nur um Musik oder den Blumenschmuck. Das können die Paare frei wählen.
Haben sich Hochzeiten in den letzten zehn Jahren verändert?
Die Tendenz zum Perfektionismus hat sich verstärkt. Es muss unbedingt die goldene Kuchengabel sein oder das Farbkonzept, das sich auch auf dem Dekor der Hochzeitstorte wiederfindet. Was ja auch superschön ist. Man muss nur aufpassen, dass man sich nicht verzettelt. Ich sage den Paaren oft, dass die Hochzeit für sie ist, kein Party-Event für die Gäste.
Man kennt das von Hochzeiten, auf denen man selbst eingeladen ist: Selten dauern die heute noch einen Tag: am Vortag ein zwangloses Get-together, dann die eigentliche Hochzeit, der Chill-out am nächsten Tag.
Wenn die Gäste von überall her anreisen, möchten die Paare ihren Leuten etwas bieten. Das kann ich schon nachvollziehen. Der Event-Charakter hat zugenommen. Aber auch hier: Man sollte bei sich bleiben. Das Brautpaar ist kein Produkt – es wird nicht daran gemessen, ob »die Verkaufe« stimmt.
Heute beschäftigten viele Paare eine Armada an Helfern: Visagist, Friseur, Caterer, DJ, Fotograf, manche beauftragen einen Kinder-Animateur, einen Kalligraphen, einen Webdesigner… Sie rollen mit den Augen.
Ja, weil das alles kostet. Ich glaube, es ist wichtig, sich zu überlegen, was einem wirklich wichtig ist, worin investiert man, damit man nicht abends bei der Feier Bauchschmerzen bekommt, wenn an einem Tisch noch eine Flasche Rotwein aufgemacht wird.
Was wird immer unterschätzt?
Die Musik. Denn über sie kommt die Emotionalität bei einer Hochzeit, natürlich in Kombination mit dem Brautpaar. Damit steht und fällt alles. Das fängt an in der Kirche oder bei der freien Trauung: Die Braut kommt rein, Musik setzt ein, ganz egal, ob klassisch oder Pop, und dann, bäm: Taschentücher raus! So muss es sein. Musik hält diese feierliche Atmosphäre wie ein roter Faden: beim Empfang, bei der Essensuntermalung und dann auf der Tanzfläche. Ich fände es schön, wenn mehr Leute sich trauen würden, eine gute Band zu buchen. Diese Unmittelbarkeit eines Live-Auftritts ist so etwas besonderes, das ist ja eine Erfahrung, die man sonst nur von Konzerten kennt. Das haut Gäste einfach um.
Was wird chronisch überschätzt?
Im Vergleich zur Musik fällt die Deko ab. Wir hatten schon so tolle Arrangements, wo ich mir vorkam wie bei William und Kate oder Harry und Meghan. Aber ich weiß nicht, ob es einem so gedankt wird. Ich glaube, das macht man eher für sich. Weil man es selbst irgendwo gesehen hat.
Auf Instagram oder Pinterest.
Ja! Auch so eine totale Veränderung: Die Leute finden alles im Internet und wollen dann partout Pfingstrosen im August. Irgendwo in einem Gewächshaus auf der Welt findet man die auch, die kosten dann über 10 Euro pro Stück und sollen eingeflogen werden. Ich versuche, meinen Kunden schöne, günstige Alternativen zu zeigen. Eine Braut wünschte sich mal, alles in Blau zu haben: Aber außer blauen Hortensien gibt’s kaum blaue Blumen. Man müsste Blüten einfärben, das sieht nie so richtig gut aus und ist immer eine Sauerei, weil mit der Zeit auch das Wasser verfärbt. Den Zahn muss man den Leuten halt ziehen.
Gibt es Paare, die so exakte Vorstellungen haben, dass Sie nach dem Vorgespräch sagen: Das kann ich nicht erfüllen?
Nee, das hatte ich noch nicht. Wichtig ist zu merken, ob man auf einer Wellenlänge ist. Einen gab es, der sich in Kopf gesetzt hatte, dass die gesamte Gästeschar von einem Steg aus in den Chiemsee springt. Er hatte da so ein Foto auf einem amerikanischen Blog gesehen. Ich konnte es ihm zum Glück ausreden.
Mit Tauben gab’s schon schlimme Unfälle. Einmal wurde der Videograf angegriffen.
Laut Bund der Deutschen Hochzeitsplaner investieren die meisten Paare zwischen 10 000 und 15 000 Euro. Bei welchem Budget liegen Ihre typischen Hochzeiten?
Schwer zu sagen. Wir machen ja auch ganz kleine Hochzeiten. Es ist einfach so abhängig von der Gästezahl und den Wünschen. In der Münchner Gegend sind 20 000 Euro ein typisches Budget bei rund 80 Gästen. Und da gehöre ich mit rein, und nicht obendrauf. Wenn ich einen Freund habe, der DJ ist, kann ich mir diesen Posten sparen. Oder wenn die Omas für das Kuchenbuffet selbst backen. Es gibt viele Einsparmöglichkeiten, und dafür kann man es an anderer Stelle krachen lassen.
Es scheinen immer neue Hochzeitsrituale und Produkte hinzuzukommen: Schmetterlinge, die man fliegen lässt. Oder individuell bedruckte Taschentücher für die Kirche. Gibt es auch einen Trend zur minimalistischen Hochzeit?
Absolut. Ich hatte erst vor einer Woche ein Paar, die sagten: Das wollen wir alles nicht. Kein Schnickschnack. Nicht alle geraten in diese Dynamik, wo sie sich am Ende über der Farbe der Mandeln zerstreiten. Was zum Glück zurückgeht, ist der Trend mit den weißen Tauben. Da gab’s schlimme Unfälle. Vogelkot auf den Gästen. Und einmal wurde der Videograf angegriffen.
Und die fliegenden Schmetterlinge?
Werden immer wieder gewünscht und nachgefragt, aber es gibt nur noch einen Anbieter in Deutschland. Man kann die Schmetterlinge in Paketen von 50 kaufen. Aber es ist tückisch: Sie fliegen nur, wenn es wärmer als 22 Grad ist.
Sie erwähnten einen Videografen: Es gibt inzwischen auch den Trend, die Hochzeit mit einer Drohne filmen zu lassen.
Ja, Bewegtbild ist ganz wichtig geworden. Die Dokumentation hat sich auch verändert: Früher gab’s die verwackelten 4-Stunden-Filme von Onkel Heinz. Heute will man den chice 3-Minuten-Zusammenschnitt – den man perfekt herzeigen und auf sozialen Netzwerken teilen kann. Besonders nach Drohnen wird häufig gefragt, vor allem natürlich wenn die Kulisse eindrucksvoll ist: an einem See, auf einer Alm. Aber bei Drohnen, ganz wichtig, vorher fragen, wie laut die sind: Ich hab schon Modelle erlebt, da dachte man, jetzt landet die GSG9.
Bekümmert es Sie manchmal, wie viel Wert die Paare auf die Erzeugung schöner Bilder legen?
Es stimmt schon, die Bilder sind allen sehr sehr wichtig. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Paare sich nicht lieben, oder etwas vorgaukeln, was nicht da ist. Das würde mir einen Stich geben.
Sind Hochzeiten Frauensache?
Nein, nicht mehr. Auch das hat sich geändert. Auch weil die Paare die Hochzeit selbst bezahlen und nicht mehr die Eltern. Daraus entwickeln beide Partner Ansprüche, was sie dafür haben wollen.
Kommt es vor, dass sich die Gastgeber finanziell verrennen? Wenn ja, wo?
Beim größten Anteil: beim Essen und Trinken. Eine offene Bar bricht jedem das Genick. Auch bei der Deko: Hussen, Blumen, Gastgeschenk. Bei letzterem würde ich mich immer fragen: Braucht es das? Ein Paar hat mal Paschmina-Schals für jeden Gast gehabt, für den Fall, dass es abends kalt wird. Eine tolle Idee. Aber allein wenn zehn Stück liegen bleiben, ist es doch schade ums Geld. Weiße Mandeln im Organza-Säckchen kosten 80 Cent pro Gast, das ist zu verschmerzen. Ein Paar hatte mal liebevoll selbstgemachte Marmelade: Supernett verpackt mit aufgeklebten Herzchen und Satinschleife. Leider waren die nicht hundertprozentig dicht und es bildeten sich Ameisenstraßen auf den Tischen.
Das Brautpaar hat bis zur letzten Sekunde nichts von dem Drama gewusst.
Gutes Stichwort: Ihre größten Pannen?
In Kitzbühel hatte ich mal eine Hochzeit, da war den gesamten Tag Stromausfall. Auch in der Küche. Vollalbtraum. Ständig wurde ich gefragt: Wann ist der Strom zurück? Wir haben dann Grills aus anderen Hotels geholt und ich habe Hunderte Kerzen auf die Tische gestellt – am Ende war's eigentlich ganz romantisch. Ein anderes Mal bei einer indischen Hochzeit sollte ein Bollywood-DJ kommen, aber fünf Stunden vorher hat mich ein Anruf erreicht, der DJ könne nicht, er habe am Vorabend zu viel gefeiert. Panik! Ich hatte 130 indische Gäste, denen konnte ich nicht mit einem x-beliebigen Helene-Fischer-DJ kommen. Da ist mir kurz schlecht geworden. Hab mich dann ans Handy geklemmt. Und über fünf Ecken einen indischen DJ aus Stuttgart aufgetrieben. Ich hab ihn angefleht, sich ins Auto zu setzen. Parallel habe ich eine Anlage organisieren müssen, die hätte der ursprüngliche DJ nämlich auch mitbringen sollen. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Das Essen lief schon, da kam ein Mann im Turban, der DJ, zur Tür rein. Das Brautpaar hat bis zu der Sekunde, als der Typ hinter den Plattentellern stand, nichts von dem Drama gewusst.
Also informieren Sie nicht, wenn es größere Pannen gibt?
Ich würde immer erst versuchen, das Feuer zu löschen, bevor es jemand merkt. Das mit den Ameisenstraßen auf den Tischtüchern weiß das Brautpaar bis heute nicht. Eine schlimme Sache fällt mir noch ein: Einmal hat der Trauzeuge in seiner Rede die Vorgängerinnen der Braut aufgezählt, also die Ex-Freundinnen des Bräutigams – da sog der ganze Saal vor Scham die Luft ein. Das ging wirklich gar nicht. Aber ich konnte ja nicht hingehen und ihm das Mikro abnehmen, wir haben seine Rede dann verkürzt, indem wir das Mikro an einer Stelle, an der es gepasst wurde, abgedreht haben. Die Leute waren erleichtert und klatschten gleich. Ich hatte auch schon einen Bräutigam, der angeschickert zur Trauung kam und mich nach einem Mentos gefragt hat. Und einen Trautzeugen, der zwei Minuten nach Beginn in die Kirche gestolpert ist.
Braucht eine gute Hochzeit solche Anekdoten?
Ja, kleine Pannen, die das Zeug zur Legende haben, schaden nicht. Zuviel Perfektionismus ist nicht gut.
Hängt die Qualität der Party von der Partylaune des Brautpaars ab?
Absolut. Wenn das Brautpaar nicht gern tanzt, ist es wahnsinnig schwer für den DJ, die Leute zum Tanzen zu bewegen. Oft ist es ja so, dass die Braut schwanger ist, es aber noch niemand wissen soll: Die bekommt von mir dann den ganzen Abend Ginger Ale in ihr Champagnerglas, damit es nicht auffällt. Da kann man viel tricksen.
Was, wenn die Stimmung nicht in Gang kommt?
Da kann ich fast nichts machen. Das hat oft familiäre Hintergründe, eine Scheidung oder einen tiefer liegenden Streit. In Ansätzen kann man das schon in den Vorbesprechungen erahnen. Es tut mir dann sehr leid, wenn das am Tag der Hochzeit spürbar ist, zum Beispiel, wenn während der Rede gesprochen oder bissig kommentiert wird. Weinende oder streitende Gäste kommen auch immer mal wieder vor – die muss man dann möglichst vom Brautpaar fernhalten.
Was ist das blödeste Wetter?
Regen ist erfahrungsgemäß gar nicht so schlimm: Weil dadurch geht’s schneller zum Partymodus über und verläuft sich nicht so. Selbst die Fotos kann man so toll retten, mit bunten Schirmen. Das blödeste ist Kälte.
Gibt es einen Monat, wo Sie nach zehn Jahren Erfahrung sagen: Da ist das Wetter am wackeligsten?
Nein, hatte schon Schnee im Mai und 10 Grad im August. Von den üblichen Sommer-Hochzeits-Monaten sind alle gleich gut beziehungsweise riskant.
40 Prozent der Ehen in Deutschland gehen wieder auseinander. Würden Sie jemandem auch ein zweites Mal bei seiner Hochzeit helfen?
Nein, ich wurde schon in zwei Fällen angefragt, nach der Scheidung der ersten Ehe auch die zweite zu organisieren. Beide Male vom männlichen Part. Ich habe es abgesagt. Da könnte ich einfach nicht.