Erwachsene Menschen lassen sich normalerweise nicht viel gefallen, schon gar nicht als Kunden. Außer bei Flugreisen. Damit meine ich nicht einmal jene Trips, welche man im Internet lotterieartig fast umsonst erstanden hat und die einen nach stundenlanger Anfahrt von abgelegenen Orten in andere abgelegene Orte bringen, in die man eigentlich gar nicht wollte; ich meine normale Linienflüge zu respektablen Preisen. Es geht auch nicht um das Verhalten des Personals, sondern um das System als solches. Nirgendwo sonst würde sich jemand freiwillig ähnlicher Unbill aussetzen: Endlose Anmärsche, ewige Schlangen vor dem Schalter, neues Anstehen vor der Sicherheitskontrolle, Leibesvisitation, bittstellergleiches Absitzen der Zeit, die man früher da sein musste, Bekanntgabe von Verspätungen in Salamitaktik, Aufruf dazu, sich wie Viehherden durch Gatter zu zwängen, wieder Warten in einem engen Schlauch vor der Flugzeugtüre oder einem Bus, Schlangestehen und Angerempeltwerden im Flugzeuggang, schließlich ein Sitzabstand, der einen jedes Kino fluchend verlassen ließe. Es gibt wenig Demütigenderes als zu fliegen, nahezu unabhängig von der gebuchten Klasse! Und trotzdem wird dies alles im Grundsatz akzeptiert, auch von Menschen, denen man ansieht, dass sie sich sonst nichts bieten lassen. Nur ein Bruchteil davon auf Bahnhöfen oder in Zügen würde sofort einen Volksaufstand auslösen. Das soll jetzt keinesfalls die Krakeeler ermutigen, die sich wichtigtuerisch vordrängeln oder vorlaut über alles beschweren. Aber es lässt darüber nachdenken, dass man ja häufig nicht unbedingt fliegen muss und vieles, zum Beispiel Warteschlangen, nicht auf Naturkonstanten oder Gesetzen beruht, sondern schlicht auf internen Vorgaben der Fluglinien. Unmoralisch ist Ihr Vorgehen deshalb nicht, wenngleich ich es nicht für besonders elegant halte. Und Sie müssen damit rechnen, schnöde zurückverwiesen zu werden; aber auf eine Demütigung mehr kommt’s ohnehin nicht an.
Die Gewissensfrage
»Wenn ich fliege, komme ich leider häufig verspätet am Flughafen an. Falls sich an den Economy-class-Schaltern eine Schlange gebildet hat, gehe ich einfach zum benachbarten Business-class-Schalter, wo nie viel los ist. Der dortige Mitarbeiter behandelt mich immer freundlich und händigt mir ohne Umschweife mein Economy-Ticket aus. Trotzdem frage ich mich, ob mein Verhalten korrekt ist.«
HARRY K., BERLIN