Was für einen Segen es doch manchmal bedeutet, in Bayern zu leben! Die Verfassung des Freistaats gewährt nämlich ausdrücklich das Recht, sich in der Natur zu versorgen: »… die Aneignung wildwachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang ist jedermann gestattet.«
Nun sind Sie ja auf Blüten aus und nicht auf Früchte. Ein Einwand, den ein geübter Jurist leicht beiseite wischen könnte, etwa mit einem Satz in der Art: Als Früchte im Sinne der Bayerischen Verfassung gelten auch Holunderblüten. Rein logisch sehe ich in der Tat keinen Vorrang des Beerenvertilgers gegenüber dem Blütenfreund. Es liegt in der Natur der Sache, dass man die genießbaren Teile des Holunderbusches nur einmal verspeisen kann; nehmen Sie die Blüten, muss der Beerensammler verzichten, nimmt sich jemand die Beeren, geht das nur, wenn Sie vorher verzichten.
Ihr Vorteil hat aber auch eine Kehrseite: Sie müssen verantwortlich handeln. Nicht umsonst fährt die Bayerische Verfassung fort: »Dabei ist jedermann verpflichtet, mit Natur und Landschaft pfleglich umzugehen.« Dieser Gedanke führt meiner Meinung nach zur Lösung: Man kann ohnehin seine Zweifel haben, ob es in einem Gartenkunstwerk wie dem Münchner Englischen Garten überhaupt etwas »Wildwachsendes« geben kann. Auf jeden Fall aber muss man die Besucherdichte bedenken. Durch diesen Park kommt nicht nur alle paar Tage ein Beeren pflückendes Rotkäppchen, er zählt dreieinhalb Millionen Flaneure jährlich. Und wenn man sich alles, was man dort unternimmt, einfach kurz mit 3 500 000 multipliziert vorstellt, kommt man automatisch zum richtigen Verhalten.
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