Finge ich nun an, mit der Goldenen Regel zu argumentieren, etwa: »Stellen Sie sich vor, Sie wären in der Situation der Versicherung«, so mancher treue Leser würde sicherlich ein wenig stöhnen: Nicht schon wieder! Zudem wirkt diese Moralkrücke, auch wenn sie irgendwie funktioniert, an dieser Stelle nicht nur banal, sondern sogar ein wenig unpassend. Warum? Die Goldene Regel überprüft die unterschiedliche Position von Beteiligten; das Problem hier liegt aber weniger in strukturellen Ungleichgewichten, vielmehr ist in einer Konstellation, die im Übrigen funktioniert, an einer Stelle eine Störung aufgetreten.
Um derartige Situationen zu untersuchen, hat der Münchner Rechtsphilosoph Lothar Philipps die Idee entwickelt, den »Defekt« jeweils gedanklich zu spiegeln, sich also das »Gegenteil« des Fehlers vorzustellen. Wie könnte solch eine Philipps’sche Spiegelung hier aussehen? Der Defekt liegt in der Höhe des Schadens, also muss man auch an dieser Stelle spiegeln; man müsste sich vorstellen, das Unglück zeigte sich nachträglich nicht kleiner, sondern größer als gedacht: Der Schreiner stellt fest, dass die Reparatur der Kommode viel teurer wird, als es zuerst den Anschein hatte. In diesem Fall könnten Sie erwarten, dass die Versicherung die Zusatzkosten ebenso klaglos bezahlt. Denn: Es geht darum, den wirklichen Nachteil auszugleichen und nicht das, was am Anfang zufällig sichtbar war. Diese Regel, die wir durch die Philipps’sche Spiegelung gewonnen haben, muss dann aber genauso auf der anderen Seite der Achse gelten: Entscheidend ist der tatsächliche Schaden, auch wenn er geringer ausfällt als erwartet.
Handelt es sich also nicht nur um ein paar Euro und auch nicht um eine Ersparnis, die sie mit Wochenenden im Hobbykeller mühsam selbst erarbeitet haben, sollten Sie das der Versicherung mitteilen und eventuell etwas zurückerstatten.
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