Da kennen Sie mich aber schlecht! Es stimmt zwar, dass ich stets dafür plädiere, dem Staat zu geben, was des Staates ist; außerdem trete ich dafür ein, seine Schulden von sich aus zu bezahlen. Hier jedoch liegt die Sache anders, denn es geht nicht um eine Leistung, die zu erhalten jemand verdient, oder um einen Schadensausgleich, sondern um eine Strafe; deren Zweck besteht darin, Unrecht zu verhindern und nicht, die Lage der öffentlichen Kassen aufzubessern.Es gibt auch keine Verpflichtung, sich selbst einer Bestrafung zuzuführen, wenn man etwas Verbotenes getan hat. Gäbe es die, müssten Sie auch ohne Ticket bei jeder abgelaufenen Parkuhr anschließend mit Zehn-Euro-Schein und reuigem Gesichtsausdruck aufs Rathaus marschieren. Eine absurde Vorstellung! Im Strafrecht kennt man den nemo tenetur-Grundsatz, nach dem niemand dazu angehalten werden kann, sich selbst anzuklagen oder auf seine eigene Bestrafung hinzuwirken. Diesen Grundsatz will ich auch keinesfalls aufweichen, indem ich eine entsprechende Moralforderung erhebe.Woher sollte schließlich eine entsprechende Pflicht kommen? Weil Sie sich schuldig gemacht haben? Wenn Sie meinen, des-wegen Buße tun zu müssen, sollten Sie das mit Ihrem Beichtvater besprechen. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie bräuchten Stra-fe zu Ihrer inneren Reinigung, wäre ein Psychotherapeut der richtige Diskussionspartner. Wenn Sie jedoch mich fragen, sehe ich keinen moralischen Grund für eine Selbstgeißelung, sondern nur dafür, sich von Anfang an richtig zu verhalten. Ziehen Sie Ihre Konsequenzen und lösen Sie Ihre Parkscheine in Zukunft ausreichend. Noch einmal werden Sie das Glück mit dem falschen Kennzeichen kaum haben. Und dann sollten Sie sich auch nicht beklagen, denn Sie haben objektiv falsch geparkt. Deshalb ist der Staat moralisch ebenso berechtigt, gegen Sie Sanktionen zu verhängen, wie Sie nicht verpflichtet sind, solche von sich aus herbeizuführen.Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Rindermarkt 5, 80331 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.
Die Gewissensfrage
»Vor einigen Wochen fand ich an meinem Auto mit abgelaufenem Parkschein einen Strafzettel über zehn Euro. Mein Ärger wurde bald von der (Schaden-)Freude verdrängt, da die Politesse ein falsches Kennzeichen eingetragen hatte. Demzufolge habe ich bis heute keinerlei Mahnung erhalten. Wie ich Sie kenne, werden Sie nun der Meinung sein, dass ich dem gebeutelten Stadtkämmerer mein Scherflein nachtragen sollte. Oder?« VALESKA D., HAMBURG