Die Gewissensfrage

»Beim Rückflug aus der Türkei bat mich meine Sitznachbarin, mit der ich mich nett unterhalten hatte, ob ich zwei Stangen Zigaretten für sie durch den Zoll bringen könne, da sie schon die erlaubte Menge mitführe. Ich hätte ohne Weiteres zwei Stangen für die Dame mitnehmen können, aber ich lehnte ab, mit der Begründung, dass ich dies prinzipiell nicht tue, wenn ich jemanden nicht kenne. Eigentlich ärgerte mich aber die mir hier begegnende Schnäppchen-Mentalität und das »Nie genug kriegen können«. Wie ist Ihre Meinung dazu?« CLAUDIA E., MÜNCHEN

Sie lernen eine nette Dame im Flugzeug kennen, die Sie um einen Gefallen bittet. Der kostet Sie nichts und bereitet Ihnen praktisch keinen Aufwand. Was spricht dagegen, ihr diesen Dienst zu erweisen?

Nun, meiner Meinung nach eine ganze Menge. Weniger das »Nie genug kriegen können«, an dem Sie sich stoßen. Auch mir gefällt diese Einstellung nicht, aber deswegen einen Gefallen zu verweigern behagt mir fast noch weniger: Das enthält eine unschöne erzieherische Note, die unter Erwachsenen nur selten ihre Berechtigung findet. Dennoch bin ich im Ergebnis Ihrer Meinung und Ihre Überlegung scheint mir in die richtige Richtung zu zielen.

Man könnte schon zweifeln, ob das Vorhaben überhaupt legal ist: Nach den einschlägigen Bestimmungen müssen die Zigaretten, die man frei einführen will, für den persönlichen Gebrauch oder als Geschenk bestimmt sein. Eine Bedingung, die man in Ihrem Fall nur mit ziemlich großen Verrenkungen oder Verbiegungen als erfüllt ansehen kann. Doch selbst wenn dies gelänge, geht es am Sinn vorbei: Freigrenzen sollen problemlos Reisemitbringsel ermöglichen, nicht dagegen durch ein Zusammenlegen den Bedarf der nächsten Monate decken. Möglichst viele günstige Zigaretten einzuführen dient unter anderem dazu, möglichst viel Tabaksteuern zu sparen. Kaum einer zahlt gern Steuern, aber – ganz banal ausgedrückt – davon werden Schulen und Krankenhäuser gebaut und die will man haben. Deshalb braucht man nun nicht aus moralischen Gründen freiwillig mehr Abgaben zu entrichten, als die Gesetze fordern, aber im Endeffekt würden Sie eine Ein-Mann-Schein-Raucher-Firma gründen, über die Ihre Sitznachbarin steuerbegünstigte Grauimporte abwickelt. Und wenn man es so formuliert und betrachtet, beantwortet sich die Frage fast von allein.

Meistgelesen diese Woche:

Illustration: Jens Bonnke