Dies hier ist ja bekanntlich eine Moralkolumne. Wäre es eine Glaubenskolumne, müssten wir ergründen, ob sich folgende Aussage des Apostel Paulus auch auf Perücken bezieht: »Wenn ein Mann betet oder prophetisch redet und dabei sein Haupt bedeckt hat, entehrt er sein Haupt.« (1. Kor 11, 4). Und ob sie als streng verbindlich gilt oder nicht, weil sie im Sinne Luthers nicht zu dem gehört, »was Christum treibet«.
In einer Psychologiekolumne könnten wir spekulieren, ob Ihr Unwohlbefinden in der Kirche nicht aus ganz anderer Richtung kommt. Ob Sie womöglich generell ein »Problem« mit Ihrer Perücke haben, sie vielleicht als zu eitel ansehen oder als Versuch der Vertuschung; Umstände, an denen Ihr Unterbewusstsein angesichts des Allwissen-den vermehrt Anstoß nimmt. Aus moralischer Sicht hingegen sehe ich neben Ihrer persönlichen Einstellung vor allem einen Aspekt: Respekt vor dem Kirchenraum und anderen Gläubigen. Vor allem für Letzteres wäre entscheidend, wie Ihre Anwesenheit mit Toupet aufgefasst wird, auch beeinflusst von Traditionen. Im Judentum – wo Gläubige umgekehrt ihr Haupt zu bedecken haben – gelten ebenso wie im Islam Perücken klar als Kopfbe-deckung und viele Frauen tragen sie gerade deswegen. Meine Nachforschungen und Nachfragen konnten aber für den christlichen Bereich nichts dergleichen in Erfahrung bringen, deshalb spricht von dieser Seite her auch nichts gegen das Tragen in der Kirche. Und gemäß meiner Vorstellung vom autonomen Menschen erachte ich einen Ersatz Ihrer natürlichen Haare nicht als Kopfbedeckung, sondern als Teil Ihrer Person; ganz wie eigene Haare oder eine Brille.
Am einfachsten hätten wir es allerdings in einer Stilkolumne. Da würden wir schlicht postulieren, dass eine Glatze einen Mann schmücken kann und sich der Aufwand nicht lohnt – auch fürs Gewissen.
Illustration: Jens Bonnke