Auch wenn es gefährlich ist, diese Antwort zu geben: Ja, Sie hätten die Dame auf die Störung ansprechen dürfen. Bevor nun der Vorwurf der Kinderfeindlichkeit über mich hereinbricht: Es geht hier nicht um Kinderlärm, sondern um Erwachsenenlärm. Denn wenn man die Räuber-Geschichte im ganzen Großraumabteil gehört hat, hätte sie bestimmt nicht unbedingt so laut gelesen werden müssen.
Falls es wirklich Kinderfeindlichkeit bei uns gibt, liegt das sicherlich kaum an den kleinen Wesen. Im Grunde mag jeder Mensch Kinder, ob er will oder nicht. Das hat die Natur so eingerichtet, und es funktioniert heute noch, wie der Erfolg aller Marketingstrategien mit Kindchenschema – großer Kopf und große Augen – belegt. Und vom nächtelang brüllenden Säugling sind die Eltern noch entnervter als die Nachbarn. Auch das ist Natur: Kinderschreien muss stärker stören als anderer Lärm; das erhöht die Überlebenschancen der Kleinen. Ablehnung kann entstehen, wenn Eltern absolute Rücksicht für sich und die Kinder einfordern, selbst aber keine üben und sie den Kindern auch nicht vermitteln.
Auch Altenfeindlichkeit wird beklagt. So sie besteht, dann nicht, weil Menschen weißes Haar haben, sondern weil manche ihr Alter wie einen Pokal vor sich hertragen und allen Jüngeren vermitteln, frech und unwissend zu sein. Und wenn Yuppies angefeindet werden, dann nicht, weil sie viel Geld verdienen und gerne ausgeben, sondern weil einige meinen, deshalb gehöre ihnen die Welt, und andere das spüren lassen.
Wenn es jemand schwerer hat als andere, müssen die anderen und die Gesellschaft das ohne Rede ausgleichen. Darüber hinaus aber ist jeder zu Rücksicht verpflichtet, egal ob jung oder alt, Kind oder Rentner, Kinderloser oder Elternteil. Und wenn sich jemand rücksichtslos benimmt, darf man etwas sagen. Auch zu einer Mutter mit Kind.
Haben Sie auch eine Gewissensfrage?
Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Hultschiner Str. 8, 81677 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.
Illustration: Jens Bonnke