Die Gewissensfrage

"Ich arbeite in einem Forschungslabor an der Universität und habe mitbekommen, dass ein Kollege Daten unsauber erhoben hat – und ich habe ihn auf den Fehler hingewiesen. Während meines Urlaubs wiederholte er das Experiment, und ich vermute, dass er wieder nicht korrekt gearbeitet hat. Hätte ich ihn noch einmal ansprechen sollen? Auch auf die Gefahr hin, ihn vor unserem Chef bloßzustellen?" Tania L., Berlin

1946 veröffentlichte der Mediziner und Philosoph Karl Jaspers die Schrift Die Idee der Universität. Sie beginnt mit dem Satz: »Die Universität hat die Aufgabe, die Wahrheit in der Gemeinschaft von Forschern und Schülern zu suchen.«

Jaspers, der sich auch philosophisch mit dem Begriff der Wahrheit auseinandersetzte, meinte, dass diese Suche durch Wissenschaft zu erfolgen habe, und beschreibt die Wissenschaft als »methodische Erkenntnis, deren Inhalt zwingend gewiss und allgemeingültig« sei. Daraus folgt für ihn die Bedeutung der Methode. Wissenschaft könne es »nur zusammen mit dem methodischen Bewusstsein: ich weiß mit dem Wissen von dem Wege, der mich zu einem Ergebnis führt« geben.

Jaspers Schrift würde ich, ungeachtet aller Entwicklungen der Wissenschaftstheorie seither, gern jedem Studenten, Wissenschaftler, Hochschullehrer, -reformer und -politiker zur Pflichtlektüre aufgeben. Sie enthält neben Grundlegendem zur Universität aber auch die Lösung Ihrer Frage: Wenn die Ergebnisse methodisch fragwürdig gewonnen wurden, haben sie keinen Wert und dürfen so nicht stehen bleiben. Wenn sie deshalb falsch sind, erst recht nicht. Die Wissenschaft dient nicht der Profilierung der Wissenschaftler, sondern der Suche nach der Wahrheit; mag man sie nun finden oder nicht – man muss sie anstreben.

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Auch auf die Frage, wie Sie vorgehen sollen, findet sich bei Jaspers eine Antwort: Zur Kommunikation an einer Universität gehört für ihn das Infragestellen in Form von Diskussion unter vier Augen und öffentlicher Disputation. Zunächst sollten Sie daher Ihren Kollegen direkt mit Ihren Zweifeln konfrontieren. Wenn er sie nicht ausräumen kann, dürfen und sollten Sie sie öffentlich machen. Seine Ergebnisse müssen dieser öffentlichen Kritik standhalten. Wenn sie es tun, gehen sie gestärkt aus dem Disput hervor. Wenn nicht, gehen sie zu Recht unter. ---

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Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Hultschiner Str. 8, 81677 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de.

Illustration: Marc Herold