"Der Tod eines Bekannten brachte mich zu der Frage: Darf man über einen Verstorbenen ‚schlecht‘ sprechen? Oft findet ja eine regelrechte Glorifizierung des Toten statt. Nun will ich keinen Angehörigen kränken oder verletzen, aber ist es denn so wichtig, im Nachhinein nur das Positive zu sehen? Oder kann man auch Negatives ansprechen, ohne Verwandte oder Öffentlichkeit zu brüskieren?" Sandra L., Salzburg
Der erste Gedanke gilt einer Verhaltensregel, die fast jeder kennt:
»De mortuis nihil nisi bene«; übertragen: »Über die Toten soll man nur gut sprechen«. Dabei bezeichnet »bene« im lateinischen Original als Adverb nicht was, sondern wie, also die Art und Weise, in der man es tun soll. Allerdings liegt der Ursprung der Regel im antiken Griechenland und lautete dort: »ton tethnekota me kakologein«, was tatsächlich besagt, dass man nichts Schlechtes über Tote sagen soll. Und das galt nicht nur als Konvention, sondern sogar als göttliches Recht.
Ein anderer Grund für Zurückhaltung könnte die Sorge vor der Macht von Toten sein, die man in vielen südamerikanischen und afrikanischen Kulturen kennt und die auch unserem Kulturkreis unbewusst nicht fremd ist – man denke nur an zahllose Schauergeschichten oder das verbreitete Unbehagen gegenüber Friedhöfen. Daneben spiegelt sich in vielem, wie wir mit dem Tod oder Toten umgehen, unsere Angst vor dem eigenen Tod wider, weshalb wir ihn oder das Sprechen darüber mit Tabus belegen.
Dies alles überzeugt mich als moralische Begründung wenig. Mir
gäben eher andere Aspekte zu denken. Dass man vermeiden sollte, Trauernde zu kränken, versteht sich von selbst. Respekt vor dem Toten als Mensch kann Schmähungen verbieten, aber nicht erklären, warum das zu Lebzeiten eines Menschen weniger gelten soll als danach. Deshalb würde ich den Satz »de mortuis nihil nisi bene« eher als Lebensweisheit denn als moralische Regel auffassen: Dass ein Mensch nicht mehr lebt, kann nicht automatisch dazu zwingen, die Wahrheit zu verdrehen. Nur – und das scheint mir entscheidend –, es ist oft nicht mehr nötig, sie auszusprechen. Und noch weniger, es in böser Art und Weise zu tun. Was gleichzeitig auch der Tatsache Rechnung trägt, dass der Tote sich nicht wehren kann. Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie
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und Marc Herold (Illustration)