Die Gewissensfrage

"Ich leide an Epilepsie, das heißt: Klinikaufenthalte, Tabletten, seelische Belastung. Aber ich will keinen Behindertenstatus und erzähle keinem Arbeitgeber von der Krankheit, die mich etwa einmal im Jahr trifft – auch, weil ich deswegen schon aus einem Job gemobbt wurde. Außerdem falle ich bei einem Anfall höchstens für einen Tag aus – andere sind wegen eines Schnupfens länger zu Hause. Verhalte ich mich falsch? Hans O., München

Über welchen Beruf sprechen wir? Busfahrer? Dachdecker? Sprengmeister? Verzeihen Sie mir, wenn ich etwas überspitzt frage, aber Sie verstehen sicher, worauf ich hinauswill. Für manche Arbeiten können Sie mit einem Anfallsleiden ungeeignet sein – auch wenn die Anfälle selten auftreten –, falls Sie dabei sich oder andere gefährden.

In anderen Berufen ist diese Gefahr sehr gering, das Schreiben von Moralkolumnen etwa wäre nicht beeinträchtigt. Allerdings hängt das alles von einer Vielzahl von Faktoren ab, weshalb die Berufsgenossenschaften detaillierte Empfehlungen erarbeitet haben, die je nach Tätigkeit sowie Schwere, Zeitpunkt und Häufigkeit der Anfälle differenzieren. Von Arbeitsrechtlern erfährt man, dass man bei chronischen Krankheiten wie der Epilepsie den Arbeitgeber aus Rechtsgründen nur unter bestimmten Voraussetzungen informieren muss: wenn die Arbeitsleistung auf Dauer nicht erbracht werden kann oder eben eine erhöhte Gefahr für andere oder den Betriebsablauf vorliegt.

Dies alles beantwortet zwar noch nicht die Frage nach dem moralisch richtigen Verhalten, gibt aber schon gewisse Hinweise. Das Ganze steht im Spannungsfeld zwischen der Sicherheit für Sie und andere, den Interessen des Arbeitgebers und Ihrem berechtigten Wunsch, dass Ihr Leben nicht noch mehr eingeschränkt wird, als es durch die Krankheit ohnehin unvermeidlich geschieht.

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Dabei muss man aus ethischer Sicht von zwei Ankerpunkten ausgehen: Eine Krankheit ist in erster Linie Privatsache, wenn nicht gewichtige Gründe für eine Offenbarung sprechen. Und die Gesellschaft, also alle, sind verpflichtet, Einzelnen dabei zu helfen, ein schwereres Schicksal zu tragen.

Deshalb halte ich Sie bei ungefährlicher Tätigkeit für berechtigt, Ihr Leiden für sich zu behalten. Sie sollten sich aber genau informieren, denn Sie tragen dann auch allein die Verantwortung für die Folgen und die Richtigkeit Ihrer Entscheidung.

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Wenn Sie sich für das Thema interessieren:

Empfehlungen zur Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie vom Januar 2007, herausgegeben vom Ausschuss „Arbeitsmedizin" der BGZ, Berufsgenossenschaftliche Informationen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, BGI 585, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Carl Heymanns Verlag Köln, 2007,
online abrufbar unter: www.arbeitssicherheit.de

Heinz-Dietrich Steinmeyer / Rupprecht Thorbecke,
Rechtsfragen bei Epilepsie, Band 1 der Schriften über Epilepsie, herausgegeben von der Stiftung Michael, 6. Auflage, Hamburg 2003

Informationszentrum Epilepsie (ize)
der Dt. Gesellschaft für Epileptologie e.V.
Information Nr. 113
Verhalten am Arbeitsplatz und gegenüber dem Arbeitgeber
Online abrufbar unter: www.izepilepsie.de

Deutsche Epilepsievereinigung:
www.epilepsien.net

Marc Herold (Illustration)