Die Gewissensfrage

Was ist das für ein seltsames Gefühl in der Magengegend, wenn man die Ex-Freundin mit einem neuen Mann sieht? Darf man es überhaupt haben? Oder muss man sich dafür schämen?

»Vor ein paar Monaten habe ich die langjährige Beziehung zu meiner damaligen Freundin beendet. Es war für uns beide nicht leicht, aber sie hatte damit wohl mehr zu kämpfen. Seit dem Sommer hat sie nun einen neuen Freund – und zu meiner Überraschung stört mich das schon etwas. Ich bin nicht sehr eifersüchtig, aber ich verspüre irgendwie ein komisches Gefühl. Habe ich überhaupt ein Recht dazu? Immerhin war ich ja derjenige, der unsere Zeit beendet hat.« Wilfried J., Reutlingen

Was kann das für ein Gefühl sein, das sich bei Ihnen einstellt, wenn Sie von der neuen Beziehung Ihrer Exfreundin erfahren? Gekränkte Eitelkeit, weil Sie es für das einzig adäquate Verhalten ansehen, wenn Ihre Partnerin nach Ihnen ins Kloster geht? Eifersucht? Neid? Gar Missgunst? Das könnte tatsächlich geeignet sein, moralische Bedenken hervorzurufen. Sofern man Gefühle, die auftauchen, ohne dass wir sie steuern können, überhaupt einer moralischen Bewertung unterwerfen will.

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Der amerikanische Philosoph Daniel Farrell definiert Eifersucht so: schmerzlich davon betroffen sein, dass man von einer anderen Person nicht in der Weise bevorzugt wird, in der man das wünscht, während die andere Person einen Dritten in dieser Weise bevorzugt. Eifersucht hat also etwas mit Exklusivität zu tun und, wie die Philosophen Christoph Demmerling und Hilge Landweer betonen, mit der Angst, etwas zu verlieren. Da Sie selbst ausschließen, weiterhin mit Ihrer Freundin eine exklusive Beziehung haben zu wollen, kann es streng genommen keine Eifersucht sein, obwohl Gefühle manchmal wesentlich stabiler sind als die Beziehung selbst.

Neid hingegen bedeutet nach Farrell, schmerzlich davon berührt zu sein, dass eine andere Person etwas besitzt, was man selbst haben möchte. Man gönnt der anderen Person das nicht, was sie hat. John Rawls, ein anderer amerikanischer Philosoph, definiert den Neid in Anschluss an Kant als »die Neigung, ein Mehr an Gütern bei anderen feindselig zu betrachten, auch wenn es die eigenen Güter nicht schmälert«. Das wäre also dann der Fall, wenn Sie Ihrer Ex die neue Beziehung nicht gönnen, vielleicht weil es Ihnen selbst noch nicht wieder gelungen ist, eine neue Beziehung einzugehen. Das wäre tatsächlich missgünstiger Neid, der zu den sieben Todsünden zählt und von Kant zum Menschenhass gerechnet wird.

Vielleicht ist es aber auch nur die Erkenntnis, dass nun die Beziehung endgültig zu Ende ist, also echte Trauer. Das würde zeigen, dass Ihnen, obwohl Sie selbst die Beziehung beendet haben, nach wie vor etwas an Ihrer früheren Freundin liegt, Sie sie also weiterhin buchstäblich wertschätzen. Und das wiederum würde ich von moralischer Seite positiver sehen, als wenn Sie ihr nach etlichen gemeinsam verbrachten Jahren völlig gleichgültig gegenüberstünden.
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Rainer Erlinger empfiehlt zu diesem Thema folgende Texte:

Daniel Ferrell, Über Eifersucht und Neid, in: Philipp Balzer, Klaus Peter Rippe (Hrsg.) Philosophie und Sex. Zeitgenössische Beiträge, dtv München 2000, S. 113-146.

Christoph Demmerling, Hilge Landweer, Philosophie der Gefühle, J.B. Metzler Verlag Stuttgart 2007, S. 195-217.

John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1979, S. 575 ff.

Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, Zweiter Teil. Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, I. Ethische Elementarlehre § 36, Reclam Verlag Stuttgart 1990, S. 349, Akademie Ausgabe S. 458.

Wolfgang Lenzen, Liebe, Leben, Tod. Eine moralphilosophische Studie. Reclam Verlag Stuttgart 1999, S. 87 ff.

Illustration: Marc Herold