Die Gewissensfrage

Muss man einer befreundeten Familie, die wegen einem Krankheitsfall die gemeinsam geplante Reise nicht antreten kann, den gesamten Anteil an der Ferienwohnung zurückzahlen?

»Über das Silvester-Wochenende war ich mit mehreren Freunden und Kindern in Frankreich. Eine Freundin konnte mit ihrem Baby und ihrem Mann aufgrund einer plötzlich auftretenden Magen-Darm-Erkrankung nicht mitreisen. Alle Parteien hatten ihren Anteil an der großen Ferienwohnung bereits bezahlt, so auch die erkrankte Freundin mit ihrer Familie. Nun fragen wir uns, wie wir es mit den Kosten machen. Eigentlich hatten wir uns darauf geeinigt, dass die daheimgebliebene Familie nur die Hälfte der gezahlten Summe zurückbekommt. Denn hätten wir gleich gewusst, dass sie ausfallen, hätten wir wohl eine kleinere Wohnung gemietet. Wieder zu Hause, sind mir aber Bedenken gekommen, ob es nicht doch fairer wäre, der Freundin und ihrer Familie das ganze Geld für die nicht angetretene Reise zurückzugeben.« Linda S., Hannover

Geld ist ein Zahlungsmittel, und deshalb kann man alles, was sich um Geld dreht, zunächst technisch betrachten. Und da scheint es eine klare Sache zu sein, jenseits aller Überlegungen, wie das rechtlich aussehen könnte: Ihre Freundin hat die Ferienwohnung mit Ihnen zusammen gebucht, Sie haben sich alle auf die Kosten, die für jeden anfallen, eingestellt und die bezahlt. Wenn Ihre Freundin nun plötzlich ausfällt, ist das für sie unschön, und vermutlich kann sie auch nichts dafür, aber der Rest der Reisegruppe kann noch weniger dafür und hat eigentlich keinen Anlass, nun mehr zu bezahlen.

Meistgelesen diese Woche:

Bis auf die Tatsache, dass die verbleibenden Verreisenden die Annehmlichkeiten einer großen, nicht voll besetzten Ferienwohnung hatten. Das ließe sich durchaus in Geld ausdrücken, also in dem Anteil Ihrer Freundin. Andererseits meinen Sie, dass Sie sich, hätten Sie gewusst, dass die Freundin nicht mitfährt, eventuell für eine kleinere Wohnung entschieden hätten – vermutlich um genau diesen Anteil zu sparen. Das, zusammen betrachtet, spräche durchaus für Ihre Lösung, sich in der Mitte zu einigen, also der Freundin die Hälfte des Preises zurückzuerstatten.

Am Ende bleibe ich aber doch am Wort »Freunde« hängen. Ich halte Freundschaft für ein sehr wertvolles und wichtiges Gut und würde so weit gehen zu sagen: Echte Freunde sind Familie, die man sich ausgesucht hat. Und das führt einen Schritt weiter: Der Ursprung jeglicher sozialer Sicherung und auch Versicherung liegt in der Solidargemeinschaft – früher der Familie, der Nachbarschaft, Glaubensgemeinschaft, Berufskollegen oder anderer Netzwerke, heute zunehmend eben auch der Freunde. Und wenn jemand aus einem Freundeskreis schon das Pech hat, krank zu werden, und deshalb der Urlaub ausfällt, hielte ich es für schön, wenn zum Ausgleich sich die Freunde die Last der Kosten aufteilen. Gewissermaßen eine unausgesprochene private Reiserücktrittsversicherung. Zumal der Freundeskreis ja tatsächlich auch von mehr Platz in der Ferienwohnung profitiert hat. Dass man die Freundin auch vermisst hat, könnte man zwar theoretisch als Verlust gegenrechnen, aber ihr kaum je in Rechnung stellen.

---

Quellen:

Zur Entwicklung der Solidargemeinschaft siehe Michael Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, UTB / Lucius & Lucius Verlag Stuttgart 2003

Zur Freundschaft grundlegend und nach wie vor unerreicht sind das 8. und 9. Buch der Nikomachischen Ethik von Aristoteles. Gute Übersetzungen gibt es von Olaf Gigon bei dtv und von Ursula Wolf im Rowohlt Taschenbuch Verlag

Lesenswert auch: Philosophie der Freundschaft, herausgegeben von Dieter Eichler, Reclam Verlag Leipzig, 2. Auflage 1999

Illustration: Marc Herold