»Mein Schwager hat uns wie jedes Jahr eine Ansichtskarte aus dem Urlaub geschrieben. Sonst habe ich mich immer sehr darüber gefreut, aber dieses Mal hat er nach Beschreibungen der Urlaubsaktivitäten auch noch verspätete Grüße zum Namenstag meines Mannes und verfrühte Grüße zu meinem Geburtstag angefügt. Ich finde, er hat da ein paar Fliegen zu viel mit einer Klappe geschlagen, und ich bin ärgerlich. Oder sehe ich das falsch?« Anna F., Berlin
Welchen Sinn verfolgen Urlaubskarten? In früheren Zeiten wohl wirklich den, über Urlaubsort und Urlaubsaktivitäten zu informieren und mitzuteilen, dass es den Absendern gut geht. Heute kommen die Karten meist nach den Urlaubern in der Heimat an, und häufig hat man inzwischen bereits telefoniert. Deshalb signalisieren sie vor allem eines: Ich habe an euch gedacht.
Ähnliches dürfte für Grüße oder Glückwünsche zu Geburtstag und Namenstag gelten. Soweit man magisches Denken und Aberglauben beiseite lässt – nach denen durch die Wünsche entweder Unglück abgewehrt oder Glück beschworen werden kann –, bleibt auch hier in der Hauptsache das Signal: Ich habe an dich gedacht.
Wenn dieses Signal, wie hier, mittels einer Karte erfolgt, tritt ein weiterer Aspekt hinzu: Die Gedanken werden materialisiert, und diese Materialisation bedeutet Aufwand – auch finanziell. Welchen Aufwand man für etwas aufbringt, wird allgemein als Maßstab dafür angesehen, wie viel einem etwas wert ist. Und das wiederum ist schon rein sprachlich mit der Wertschätzung verknüpft; womit wir am entscheidenden Punkt wären. Das Zusammenfassen der drei verschiedenen Grüße stellt gewissermaßen eine Rationalisierungsmaßnahme zur Effizienzsteigerung dar, noch härter ausgedrückt eine Sparmaßnahme an Aufwand und Kosten. Im übertragenen Sinne damit auch der Wertschätzung, und so gesehen könnten Sie mit Ihrem Gefühl richtig liegen.
Dennoch kann ich Ihnen nicht zustimmen. Ich bin generell kein Freund des Forderns oder der Erwartungshaltungen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich halte beides für zersetzend. Hier aber kommt noch etwas hinzu: Wenn Sie sich durch das Zusammenfassen der Grüße zurückgesetzt fühlen, sind Sie es, die den Grüßen den Preisstempel aufdrückt. Sie bekommen welche, und statt sich zu freuen, taxieren Sie die Grüße und setzen den dafür aufgebrachten Aufwand ins Verhältnis zu dem aus Ihrer Sicht notwendigen. Den zu billigen Gruß weisen Sie innerlich zurück. Indem Sie zwischenmenschliche Aktionen derart bewerten, entwerten Sie sie. Und das weit mehr als Ihr Schwager, wenn er die Grüße zusammenfasst.
Literaturhinweis:
Zur Ökonomisierung des Lebens, vor allem aber zu ihren Grenzen aus moralphilosophischer Sicht ist Michal Sandels Buch „Was man für Geld nicht kaufen kann“ Ullstein Verlag, Berlin 2012 lesenswert, wenn man Sandel auch nicht in allen Punkten zustimmen kann.
Illustration: Serge Bloch