»Meine Freunde sagen mir oft bei Konzerten oder Geburtstagsfeiern nicht Bescheid, wenn sie annehmen, dass mir der Weg zu weit ist, ich unter der Woche nicht kann oder es mir als Frühaufsteherin zu spät wird. Sie liegen fast immer richtig. Darf ich trotzdem verstimmt sein, nicht gefragt zu werden, um selbst zu entscheiden? Oder sollte ich mich freuen, dass sie mich so gut kennen?« Claudia K., Augsburg
Ihr Problem könnte man mit »Kampf um Anerkennung« umschreiben. Den Begriff habe ich nicht zufällig entliehen bei dem bekannten gleichnamigen Buch des Frankfurter Sozialphilosophen Axel Honneth. Er beschreibt darin die gegenseitige Anerkennung als Voraussetzung für das Leben des Individuums im sozialen Gefüge. Obwohl das Buch auf den größeren Rahmen der Gesellschaft zielt, glaube ich, dass sich einige Grundgedanken in Ihrem Fall wiederfinden.
Sie sprechen die drei typischen Muster gegenseitiger Anerkennung an, die Honneth aufbauend auf den Philosophen Hegel und den Sozialpsychologen G. H. Mead formuliert: Liebe, Recht und Solidarität. Mit Liebe ist nicht nur die romantische Form gemeint, sondern auch die Zuneigung in einer Freundschaft, an der Sie zweifeln, wenn Sie nicht eingeladen werden. Die Anerkennung Ihrer Rechte beinhaltet hier Ihr Recht, selbst zu entscheiden, ob Sie mitkommen. Und die Solidarität beinhaltet die soziale Wertschätzung der besonderen Eigenschaften, in denen sich Menschen unterscheiden. Das wäre hier, dass Sie eben eine etwas andere Lebensweise haben. Deren Anerkennung könnte darin liegen, dass Ihre Freunde sich Gedanken machen, ob eine bestimmte Unternehmung auch für Sie geeignet wäre, statt einfach immer alle einzuladen, und Sie müssen laufend absagen.
Was folgt daraus? Ich glaube, an der Stelle muss man sich an das Wort »Kampf« halten – nicht im Sinne eines Streites, sondern im Sinne eines Bemühens. Sie können sich also nicht einfach still Ihre Gedanken machen oder gar verstimmt sein, sondern müssen mit Ihren Freunden eine für alle befriedigende Lösung suchen und verhandeln. Das ist nicht negativ, sondern es zeigt, dass Sie Wert aufeinander legen, und stärkt damit zugleich die wechselseitige Anerkennung im Rahmen Ihrer Freundschaft.
Literatur:
Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994. Das Kapitel »5. Muster intersubjektiver Anerkennung: Liebe, Recht, Solidarität“« S. 148 – 211
Lesenswert auch Honneths Antrittsvorlesung an der Universität Frankfurt am Main: Integrität und Missachtung. Grundmotive einer Moral der Anerkennung, Merkur 501 (1990), S. 1043 – 1054
George Herbert Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1973
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Jenaer Systementwürfe III, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes (Jenaer Realphilosophie), Philosophische Bibliothek 333, Meiner Verlag, Hamburg 1987