»Mein Freund hat einen fünfjährigen Sohn, um den er sich sehr lieb kümmert. Nun will er Weihnachten mit ihm feiern - zusammen mit seiner Ex-Freundin, mit der er den Sohn hat, und zwar bei deren Eltern, die weiter weg wohnen. Aber mir bedeutet Weihnachten sehr viel, und ich würde es gerne mit ihm verbringen. Darf ich mir das von ihm wünschen?« Constanze C., München
Mit wem wollen Sie Weihnachten verbringen? Komische Frage, mit meinem Freund, werden Sie vielleicht antworten. Aber was meinen Sie damit – Ihren Freund oder das Objekt Ihrer Liebe? Das ist etwas anderes oder zumindest ein anderer Schwerpunkt: Einmal geht es in erster Linie um Sie und Ihre Liebe, und einmal um die Person Ihres Freundes, um das, was ihn ausmacht.
Das leitet hin zur entscheidenden Frage: Würden Sie Ihren Freund genauso mögen, wenn er nicht das Bedürfnis, das Verantwortungsgefühl und auch die Liebe hätte, Weihnachten gemeinsam mit seinem kleinen Sohn zu begehen, der mit getrennten Eltern aufwächst? Oder schätzen Sie vielleicht gerade diese Eigenschaften an ihm? Dann gälte das englische Sprichwort: You can’t have your cake and eat it. Sie können nicht beides haben: einen Freund, der verantwortungsvoll und liebevoll ist, und einen Freund, der gern bereit ist, nicht mit seinem fünfjährigen Sohn Weihnachten zu feiern.
Die Situation ist nicht ideal, aber sie ist so, wie sie ist. Sie bekommen Ihren Freund nicht ohne die Tatsache, dass er einen Sohn hat. Das bedeutet, dass Sie ihn zumindest zeitlich teilen müssen, und das fällt zu einem Anlass wie Weihnachten nun einmal besonders auf. Sie leben in einer Patchworksituation, und die erfordert von allen etwas Flexibilität. Idealerweise würden Sie sich absprechen und eine gemeinsame Lösung finden. Die ist oft nicht so einfach, weil manche Beteiligten sich vielleicht sperren, aber dann muss man sich auch damit arrangieren.
Es zeugt von einem Maß an Voraussicht, das schon fast an göttliche Fügung denken lässt, dass man, als sich die Verbreitung von Patchworkfamilien noch nicht einmal am Horizont abzeichnete, Weihnachten mit zweieinhalb Feiertagen ausstattete und das eisern beibehielt, bis es heute (endlich) einen wirklich praktischen Sinn bekommen hat.
Literatur:
Zur Geschichte der Weihnachtsfeiertage: Philipp Harnoncourt, Weihnachtsoktav, in: Walter Kasper (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), 3. Auflage, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2001, Band 10: Thomaschristen bis Zytomyr
Zur Problematik des Besitzenwollens als Teil der Liebe siehe Hannah Arendts von Karl Jaspers betreute Dissertation: Hannah Arendt, Der Liebesbegriff bei Augustin, Philo Verlag, Berlin/Wien 2003
Der Herausgeber Volker Lütkehaus zitiert in seinem Vorwort zu der von ihm herausgegebenen Dissertation neben der bekannten Sentenz „amo, volo ut sis" – „Ich liebe, ich will, dass Du seiest, (was Du bist)“, den weniger bekannten Satz von Augustinus, der fast das Gegenteil beinhaltet und vermutlich der Realität oft näher kommt: „Non enim amas in illo quod est; sed quod vis ut sit" – “Du liebst in jenem nämlich nicht, was er ist, sondern was du willst, dass er es sei.“ (S.12)
Illustration: Serge Bloch