Mit der Kraft der Sonne

Schon Ende des Jahres möchte die kalifornische Firma Aptera ihr futuristisch anmutendes Solarauto auf den Markt bringen. Unsere Lösungskolumnistin konnte in San Diego eine Probefahrt machen – als erste Journalistin weltweit.

Das Modell »Sol« von Aptera bei einer Probefahrt in Kalifornien.

Foto: Caroline Bayani/Aptera

Es sieht aus wie das Batmobil, tankt nur Sonne und könnte die Zukunft des Autos sein: Die kalifornische Firma Aptera (griechisch für »flügellos«) will noch in diesem Jahr das erste, für den Massenmarkt produzierte Solarvehikel auf die Straße bringen. Benzin und Diesel sind bekanntlich umweltschädlich, Elektroautos haben das ewige Batterie-Problem; auch deshalb basteln Konstrukteure seit Jahrzehnten am Traum vom Auto, das direkt mit Sonnenenergie fährt, scheiterten aber immer wieder an praktischen Problemen: Wetter, Wolken, Regen. In diesem Jahr könnte es soweit sein.

Der Aptera-Ingenieur Daniel Morris rollt den schnittigen weißen Zweisitzer namens Sol, spanisch für »Sonne«, aus der Aptera-Fabrikhalle im Sorento Valley bei San Diego auf die Straße. Zwei Dutzend Quadrate, jedes so groß wie ein Bierdeckel, kleben auf dem Heck, dem Dach und der Haube, das sind die Solarpaneele. Ich sei die erste Reporterin, die für eine Testfahrt im Sol sitzen darf, versichert Apteras Mitgründer Steve Fambro. Die weißen Flügeltüren des Wagens heben sich. Der weiße Innenraum ist sparsam dekoriert, Monitore ersetzen Rück- und Außenspiegel. Ans Steuer darf ich nicht selbst, denn dies ist noch ein Prototyp, und wenn die Reporterin den an die Wand fahren würde, würde es eine sehr teure Recherche. Also nimmt stattdessen Morris auf dem Fahrersitz Platz, drückt aufs Gaspedal und der Wagen beschleunigt in 3,5 Sekunden von Null auf 90 km/h.

Der Sol fühlt sich wie ein Rennwagen an, weil er so niedrig liegt und sich an den Boden schmiegt, aber schneller als 120 bis 130 Stundenkilometer soll das Modell gar nicht fahren. Der Wagen wiegt weniger als 900 Kilo, etwa die Hälfte des kleinsten Tesla-Modells, und erinnert optisch eher an ein Leichtflugzeug. »Wir könnten jetzt einfach immer weiterfahren«, sagt Morris, denn theoretisch muss der Wagen mit seinem »Never-Charge«-Konzept in einem Sonnenstaat wie Kalifornien nie an einer Ladesäule geladen werden.

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Wegen der drei Räder ist der Wagen offiziell ein »Autocycle«, also ein Zwitter zwischen Motorrad und Auto

Alles am emissionslosen Sol ist auf Effizienz getrimmt, vom geschwungenen, Delphin-ähnlichen Unterbauch bis zum aerodynamischen Heck. Wegen der drei Räder ist der Wagen offiziell ein »Autocycle«, also ein Zwitter zwischen Motorrad und Auto. Laut seiner Konstrukteure ist er vier Mal energieeffizienter als das durchschnittliche Elektroauto und neun Mal energieeffizienter als ein Benziner. Wenn dann doch mal das Wetter länger schattig bleibt, erhöhen Batteriepakete die Reichweite auf 400 bis 1200 Kilometer, je nach Modell. Der Sol kann an normalen Haushaltssteckdosen geladen werden und lädt schneller als herkömmliche Elektroautos: In 15 Minuten ist er wieder für 120 Kilometer fahrfähig, aber der Durchschnittsfahrer, der laut Statistik weniger als 36 Kilometer zum und vom Arbeitsplatz fährt, wird die Notlösung kaum brauchen. Mit einem Solarrechner auf Apteras Webseite kann man berechnen, wie die Solarleistung an einem nebligen Herbsttag aussieht.

Für die technischen Probleme hat Aptera größtenteils innovative Lösungen gefunden: Statt von einem Motor unter der Haube werden die drei Räder direkt von Solarenergie angetrieben. Die Außenhülle besteht nicht aus Metall, sondern aus ultraleichtem Karbon, Kevlar und Hanf, wie bei einem Schnellboot. »Das Material ist sieben Mal stärker als Stahl, das übersteht auch Hagel oder eine wütende Ex-Freundin«, scherzt Apteras Mitgründer Chris Anthony. »Wenn ein Teil zu Bruch geht, schickt Aptera einfach ein neues zum Austauschen.« Die Karosserie besteht im wesentlichen aus vier Komponenten, die sich mit dem 3D-Drucker drucken und wie ein Legokit zusammenstecken lassen. Wer bei diesen Worten an ein Spielzeugauto denkt, dem versichert Anthony, dass der Prototyp Stresstests mit Bravour bestand. Diese Tests hätten ergeben, dass das Auto sicherer sei als alles, was bisher auf dem Markt ist. »Weil die Innenzelle wie ein Ei geformt ist, verteilt sich der Druck bei einem Aufprall.«

Nicht nur das Auto an sich will Aptera revolutionieren, sondern das gesamte Reparaturkonzept: Die Firma verspricht, Ersatzteile innerhalb von 24 Stunden mit Anleitung an jeden Ort der Welt zu schicken. Die Mechanikerin in Hinterunterwimperdingen oder in einem chinesischen Dorf, die noch nie ein Solarauto bearbeitet hat, muss dann nur die Instruktionen aus dem Internet laden und das Teil austauschen. »Das Material rostet und ermüdet nicht, kann auf ewig gefahren werden«, sagt Fambro, der genau wie sein Kompagnon Anthony den in der kalifornischen Start-Up-Szene häufig anzutreffenden »Yes we can«-Optimismus ausstrahlt. Auch da sei das Gesamtkonzept umweltfreundlicher als bei herkömmlichen Modellen, die spätestens nach einigen Hunderttausenden Kilometern verschrottet werden. Wenn effizientere Solarpaneele auf den Markt kommen, tauscht man sie bei Aptera aus. Wie gut all diese Ideen dann in der Praxis funktionieren, lässt sich naturgemäß noch nicht überprüfen und wird sich erst mit der Zeit herausstellen

»Die Freiheitssuchenden« seien die wichtigste Zielgruppe, hat Marketingleiterin Sarah Hardwick in Umfragen herausgefunden, »Menschen aller Altersstufen und aus allen Demographien, die nicht mehr an eine Ladestation gebunden sein wollen.« Die erste angekündigte Produktionsrunde war innerhalb von 24 Stunden ausverkauft. Mehr als 11.000 Menschen stehen auf der Warteliste, davon 250 aus Deutschland. Ist das der Durchbruch für die Solarauto-Revolution?

Gut zu erkennen vorne auf dem Auto: die bierdeckelgroßen Solarpaneele.

Die Türen des »Sol« schwingen nach oben, statt zur Seite.

Fotos: Foto: Caroline Bayani/Aptera

Der kalifornische Sol liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem bayerischen Sion von Sono Motors. Auch die Sono-Gründer sind Überzeugungstäter, auch sie wären vor zwei Jahren beinahe pleite gegangen, und auch sie wollen bald mit der Produktion starten. Einiges ist vergleichbar, von der Reichweite, den modularen Solarpaneelen bis zum Einstiegspreis um die 25.000 Euro für das Basismodell. Als drittes Solarauto gibt es schließlich noch den holländischen Lightyear, einen stromlinienförmigem Luxus-Solarschlitten, der ebenfalls dieses Jahr losfahren will, aber mit einem Einstiegspreis von knapp 180.000 Euro zu teuer für den Massenmarkt ist.

»Wir sind alle Brüder von verschiedenen Müttern; wir verfolgen alle die gleichen Ideale«, sagt Fambro gleichmütig über die Konkurrenten. »Ich wünsche ihnen allen Erfolg. Wir wollen nicht der größte Autobauer werden, wir wollen nur das effizienteste Auto bauen.«

Und doch könnten die bayerischen und kalifornischen Modelle kaum unterschiedlicher sein: Der Sion von Sono wirkt wie ein herkömmlicher Kleinwagen, der eine vierköpfige Familie in den Urlaub transportieren kann. Er verbirgt seine bahnbrechende Technologie hinter unscheinbaren dunklen Paneelen. Der Aptera dagegen scheint aus dem nächsten Jahrhundert angeflogen: die Flügeltüren, der schnittige Schwanz, die karbonverkleideten Räder. Als Zweisitzer ist er höchstens für Singles und Paare mit kleinem Gepäck geeignet, auch wenn die Designer versprechen, dass man problemlos Kindersitze und Hundebetten im Heck unterbringt. Das dürfte höchstens für Zwergschnauzer und kleingeratene Zweijährige gelten. In der Zwischenzeit arbeitet ein Aptera-Team an einem größeren Viersitzer.

Allein: Vollmundige Ankündigungen gab es schon viele. Wie oft haben wir schon von Genies gehört, sie hätten das Rad neu erfunden? Steve Fambro und Chris Anthony kennen die Herausforderungen nur zu gut. Sie gründeten Aptera 2006 und versuchten, damals noch mit völlig anderer Technologie, das erste Solarauto zu bauen. Ihr erster Prototyp entstand etwa zur gleichen Zeit, als Tesla den ersten Roadster baute. Aber bei Aptera ging der Plan gründlich schief. Anthony und Fambro verließen die Firma nach vier Jahren, bevor ein anderer sie 2011 in die Pleite führte.

Fambro lebte jahrelang in Deutschland, zunächst als US-Soldat, und  spricht fließend Deutsch, weil er für Motorola in deutschen Haushalten Wartungsarbeiten ausführte. Das Ingenieursstudium begann er erst mit 30, noch während des Studiums fing er beim kalifornischen Biotech-Unternehmen Illumina an, das seinen Sitz schräg gegenüber von Aptera hat. Fambro deutet etwas wehmütig in die Richtung seines ehemaligen Arbeitgebers. »Ich habe meine Illumina-Aktien verkauft, um 2006 Aptera zu gründen. Wenn ich sie behalten hätte, hätte ich fürs Leben ausgesorgt und müsste nie wieder arbeiten.«

Die Vorteile des Solarautos liegen auf der Hand: Wer täglich weniger als 60 Kilometer fährt oder in einer sonnigen Gegend lebt, muss nie wieder tanken oder laden.

Nach der Aptera-Pleite gründeten Fambro und Anthony andere Startups – Fambro baute unter anderem eine der weltgrößte Hydroponik-Farmen in Dubai auf, Anthony eine Lithium-Batterie-Produktion. Vor zwei Jahren kauften die beiden schließlich die Marke Aptera zurück, mit neuem Konzept und Crowdfunding. Sie glauben, aus ihren Anfangsfehlern gelernt zu haben, und dass die Zeit fürs erste Solarauto nun reif sei.

Nicht nur das Auto an sich ist neu, sondern auch das Produktionskonzept: Statt eine riesige Produktionsstätte aufzubauen, setzen die beiden auf »Mikrofabriken«, die weniger als 10.000 Quadratmeter groß sein werden. Viele Teile können mit 3D-Druckern gedruckt und dann zusammengesteckt werden – und zwar »on demand«, also je nachdem wie viele Autos verkauft werden. »Wenn man sich mal die Audi-Produktion in Ingolstadt angeschaut hat und sieht, wie da Hunderte von Teilen nötig sind, um ein Auto aus Metall zu bauen, und die Autos dann vorproduziert werden und zu Hunderten oder Tausenden geparkt werden, bis sie zum Kunden gelangen….« Fambro schüttelt den Kopf. »Das macht einfach keinen Sinn.« In seinem Konzept kann Aptera in China oder Deutschland Mikrofabriken aufziehen, sobald genügend Bestellungen eingegangen sind.

Die Vorteile des Solarautos liegen auf der Hand: Wer täglich weniger als 60 Kilometer fährt oder in einer sonnigen Gegend lebt, muss nie wieder tanken oder laden. Wer den Wagen in der Sonne parkt, der findet ihn vollgeladen vor. Die Nachteile werden sich erst richtig überprüfen lassen, wenn das Ei auf der Straße rollt: Wie reparaturanfällig ist die neue Technik? Was, wenn Schnee und Eis die Solarpaneele verdecken? Schließlich kann man nicht in der Garage parken, wenn man die Sonne zum Laden nutzt.

Ob das alles so funktioniert, wie Fambro und Anthony sich vorstellen, weiß noch niemand. Aber wenn man dann vom Sol wieder in einen normalen, benzinbetriebenen Viersitzer umsteigt und auf der Autobahn neben all den überdimensionierten Metallbüchsen rollt, die alle paar Hundert Kilometer an der Tankstelle oder der Elektrosäule halten müssen, kann man nicht anders als zu denken: Ihr seid alle von gestern. Ich habe gerade die Zukunft gesehen.