Das Problem: Die Stahl- und Zementproduktion ist für ein Fünftel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
Die Lösung: Die neue Firma Heliogen stellt zum ersten Mal eine klimaschonende Methode vor, Temperaturen über 1000 Grad Celsius für die Zement- und Stahlproduktion zu erzeugen – mit Hilfe der Sonne.
Stark vereinfacht ausgedrückt funktioniert die Idee nach dem gleichen Prinzip wie die Experimente, die wir als Kinder mit einer Lupe anstellten: Wenn wir Sonnenstrahlen durch ein Brennglas bündeln, werden die Temperaturen so hoch, dass man zündeln kann.
Nun zündelt Bill Gates mit sehr viel aufwändigeren Methoden in der Wüste Kaliforniens: Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und strategisch angeordneten Spiegeln fängt sein neues Startup Heliogen die Sonnenenergie nicht nur ein, sondern bündelt sie so konzentriert an einem Punkt, dass Temperaturen bis zu 1500 Grad erreicht werden. Völlig überraschend verkündete der Microsoft-Gründer Ende letzten Jahres diesen Durchbruch: »Ich bin stolz darauf, dass ich als einer der ersten auf die neue Sonnenkonzentrationstechnologie gesetzt habe«, sagte Gates in einer Pressemitteilung. »Das Potenzial, so hohe Temperaturen zu erreichen, dass wir damit eines Tages fossile Brennstoffe ersetzen, ist vielversprechend.«
Klar, Solarenergie kennt jeder, aber das Revolutionäre an der neuen Technologie von Heliogen ist, dass damit zum ersten Mal Temperaturen erreicht werden, die für die Stahl- und Zementproduktion ausreichen könnten. Diese Temperaturen weit über 1000 Grad schafften die Hersteller bisher nur mit Hilfe fossiler Brennstoffe. Bill Gates forderte in einem vielbeachteten TED-Talk »Innovating to zero!« schon vor zehn Jahren, die Industrie müsse klimafreundlicher werden. So lernte er Bill Gross kennen, den Mann hinter Heliogen. Neben Gates haben auch AOL-Gründer Steve Case und Biotech-Milliardär Patrick Soon-Shiong inzwischen in die in Lancaster bei Los Angeles ansässige Firma investiert. »Bill und das Team haben jetzt wirklich die Sonne angezapft«, sagte Soon-Shiong in einem Interview mit CNN. »Das Potenzial für die Menschen ist enorm. Das Potenzial für die Wirtschaft ist unermesslich. Dies ist ein existenzielles Anliegen für unsere Kinder und Enkel.«
Hunderte Spiegel in der Versuchsanlage korrigieren ihre Position mehrmals pro Sekunde
Der Bedarf ist dringend, denn die Zementproduzenten haben ein Klimaproblem und stehen schon lange unter Druck, neue Verfahren zu entwickeln: Sie sind für sieben Prozent des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes verantwortlich, Tendenz steigend, denn wegen der wachsenden Weltbevölkerung und der zunehmenden Urbanisierung wird die Zementproduktion laut der Internationalen Energy Agency weltweit bis 2050 noch um 12 bis 23 Prozent zunehmen. Zusammen sind die Stahl- und Zementindustrien laut der amerikanischen Umweltbehörde EPA gar für ein Fünftel der weltweiten CO2-Produktion verantwortlich.
Eine klimaschonendere, nachhaltigere Produktion könnte also große Auswirkungen auf den Kohlendioxidausstoß haben. Auch wenn man der Ehrlichkeit halber hinzufügen muss: Das meiste Kohlendioxid (60 Prozent) entsteht nicht bei der Energiegewinnung für die Zementproduktion, sondern wird beim eigentlichen Entstehungsprozess freigesetzt, da ist also noch mehr Innovationsfreude gefragt.
Konzentrierte Solarenergie (Concentrated Solar Power oder CSP) wird schön länger zur Stromerzeugung eingesetzt. Und in Oman und Kalifornien zum Beispiel werden Ölbohrungen statt mit klimaschädlichem Gas mit Hilfe von Sonnenlicht und Spiegeln durchgeführt. Aber bisher erreichten die Temperaturen nur um die 600 Grad Celsius und waren damit nicht hoch genug, um Zement oder Stahl herzustellen. Heliogen will stattdessen die Stromerzeugung als Zwischenschritt weglassen und Solar-Hochöfen direkt mit Sonnenenergie befeuern. Die Hitze wird dabei in einer geeigneten Flüssigkeit gespeichert, etwa geschmolzenem Salz, aus der wiederum Dampf zum Betreiben von Generatoren gewonnen wird.
Wie realistisch ist das Ganze? Konkurrenten und Kritiker, die sich seit Jahren mit der Nutzung der Sonne für industrielle Anwendungen beschäftigen, meldeten sich nach der vollmundigen Ankündigung von Bill Gates mit Spott: »Wir könnten jeden Tag eine Pressemitteilung schreiben, dass wir in unseren Reaktoren Temperaturen über 3000 Grad Celsius erreichen«, sagte etwa Gilles Flamant, der als Leiter des von der EU finanzierten Forschungsprojekts Solpart ebenfalls an industriellen Einsatzmöglichkeiten für Sonnenenergie forscht, der Neuen Zürcher Zeitung, »Aber wir tun es nicht. Wir wollen unsere Komponenten nicht beschädigen.«
Das Problem liegt Flamant und anderen Kritikern zufolge nicht so sehr darin, die hohen Temperaturen überhaupt zu erreichen, sondern darin, den Ausstoß trotz Schwankungen der Sonnenenergie konstant zu halten; auch die entsprechenden Solar-Reaktoren müssten erst noch gebaut werden.
Genau das Problem der Konstanz aber wollen Gates und Co nicht nur mit Energiespeicherung, sondern auch mit KI gelöst haben, also künstlicher Intelligenz, welche das Spiegelfeld stets optimal auf die Sonne ausrichtet. Ein technischer Durchbruch bei der künstlichen Intelligenz habe den Durchbruch in der Energiegewinnung ermöglicht, die Spiegel in der Versuchsanlage korrigieren ihre Position nun mehrmals pro Sekunde. »Wenn man tausend Spiegel exakt auf einen Punkt ausrichtet, erreicht man extrem hohe Temperaturen«, sagt CEO Bill Gross. Heliogen ist, wie er sagt, »der Gipfel meiner lebenslangen Versuche, neue, nachhaltige Wege zu finden, um unseren Energiebedarf zu decken. Unser Ziel ist, Treibstoff durch reines, konzentriertes Sonnenlicht zu ersetzen.«
Außer der Stahl- und Zementproduktion sieht er noch andere Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel »können wir mit der Technik Wasser thermochemisch aufspalten, um hundertprozentig grünes Hydrogen zu erhalten und damit das erste Helio-Benzin zu kreieren. Wenn es uns gelingt, kohlendioxidfreies Hydrogen in Treibstoff für Lastwägen und Flugzeuge umzuwandeln, ist das ein Gamechanger«, träumt Gross. Auch daran arbeiten bereits andere, zum Beispiel ClimeWorks in der Schweiz, aber bis zum kommerziellen Einsatz ist es noch ein weiter Weg.
Und grundsätzliche Einschränkungen gibt es natürlich auch: Die Methode funktioniert nur dort, wo die Sonne sehr intensiv strahlt, also eher in Kalifornien als in Bayern, eher in Afrika oder im Nahen Osten als in Norwegen. Unklar ist auch noch, wieviel Land dafür benötigt wird, bisher gibt es ja nur die Pilotanlage auf einem Hektar in Kalifornien. Heliogen hat Pläne, die erste große Anlage in die Wüste von Nevada zu stellen.
Und schließlich müssten die großen Zement- und Stahlproduzenten davon überzeugt werden, auf Solarenergie umzusteigen. Das hält man bei Heliogen aber für das kleinste Problem: Die Sonne als Energiequelle sei nämlich nicht nur stärker und zuverlässiger verfügbar als Öl und Gas, sondern auch billiger: Sie kostet gar nichts. »Wenn wir zu den Zementproduzenten gehen und sagen, wir geben euch grüne Wärme ohne CO2, aber ihr spart auch Geld dabei, dann müssen die nicht lange überlegen«, glaubt Gross. Über die bisherigen Kosten hält er sich bedeckt; und wieviel Geld er noch braucht, um die Technik zur Marktreife zu entwickeln, will er auch nicht sagen.
Aber dass die Methode an sich funktioniert, kann man ihm schon abnehmen. Schließlich ist der Trick seit der Antike bekannt: Schon der geniale Mathematiker und Erfinder Archimedes soll mit geschickt arrangierten, großen Spiegeln die Sonnenstrahlen so effektiv gelenkt haben, dass er damit die Segel der anrückenden Kriegsschiffe vor Syrakus in Flammen setzen konnte. Das war laut Überlieferung vor mehr als 2000 Jahren, aber genutzt hat es ihm nichts: Als die Römer die Stadt trotzdem überrannten, wurde er getötet.