Das Problem: Selbst wenn wir auf erneuerbare Energien umstellen, ist schon zu viel Kohlendioxid in der Atmosphäre, um die Erderhitzung aufzuhalten.
Die Lösung: Der deutsche Pionier Klaus Lackner entwickelt in Arizona künstliche Bäume, die 1000-mal mehr CO2 einfangen als natürliche Bäume.
Heiss hier, oder? Längst ist klar, dass wir auf dem besten Weg sind, das Klimaziel von höchstens zwei Grad Erwärmung zu verfehlen. Bei drei Grad verlieren wir die meisten Küstenstädte, bei vier wird Europa zum permanenten Dürregebiet. Nun sprechen alle von Geo-Engineering als letzter Hoffnung. Der deutsche Pionier Klaus Lackner erkannte schon vor 30 Jahren, dass die Klimaerhitzung nur mit »Carbon Capturing« im Zaum gehalten werden kann, also dem Einfangen von CO2 aus der Luft. Wally Broecker, der Wissenschaftler, der den Begriff »Global Warming« 1975 im Wissenschaftsmagazin Science als erster prägte, nennt Lackner »den brillantesten Menschen, der mir je begegnet ist«. Lackner studierte in Heidelberg, forscht aber seit Jahrzehnten an amerikanischen Universitäten wie der Columbia University und der Arizona State. Nun stellt der Physiker seine Vision vor: einen Wald voll künstlicher Bäume, von denen jeder 1000-mal mehr CO2 einfängt als ein natürlicher Baum. Sein Büro in Arizona steckt voller weißer Zweige, die wie künstliche Christbäume wirken, sich aber anfühlen wie Leder.
Sie haben schon vor 20 Jahren begonnen, das Einfangen von CO2 zu erforschen. Wie kamen Sie so früh darauf, dass das ein Weg sein könnte?
Klaus Lackner: Ich hatte eigentlich noch früher angefangen, Anfang der Neunziger wurde klar: Die Welt braucht Energie. Aber schon in den frühen Neunzigern zeichnete sich ab: Das CO2, das wir raushauen, bleibt in der Luft, und zwar für sehr lange Zeit. Wenn man sich das anschaut, braucht man sich nicht mehr darüber zu streiten, ob sich das Klima bei einem CO2-Anteil von 250 oder 350 oder 750ppm (Anmerkung: 1ppm ist ein Millionstel) erhitzt. Wir können uns streiten, wo genau die Grenze ist, aber selbst damals war schon völlig klar: Bevor dieses Jahrhundert vorbei ist, müssen wir kohlenstoffneutral sein.
Warum setzen Sie nicht auf erneuerbare Energien?
Ich glaube, dass wir den Übergang auf die erneuerbaren Energien machen werden und sollen. Aber bis wir damit fertig sind, werden wir das CO2 so hoch gedrückt haben, dass wir es wieder runternehmen müssen. Ich lebe in Phoenix, da laufen im Sommer ununterbrochen die Klimaanlagen, sonst wird es hier sehr schnell sehr unangenehm. Der Übergang braucht Zeit. Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob das mit Solarenergie, Nuklearenergie oder anders geht, aber eindeutig war die Einsicht, dass uns die Kohle und das Öl und damit der Kohlenstoff nicht ausgehen. Es ist kein Problem, das von selbst weggeht. Von daher war klar, dass wir was machen müssen. Jetzt ist es zu spät, darüber zu diskutieren, ob wir CO2 entfernen müssen oder nicht. Wir MÜSSEN es wegkriegen. Ich sehe das wie ein Müllentsorgungs-Problem. Wenn ich meinen Müll vor Ihrer Haustür liegen lasse und Sie beschweren sich, und ich sage, es ist aber 20 Prozent weniger als letztes Jahr, sind Sie immer noch nicht zufrieden. Um beim Bild der Müllabfuhr zu bleiben: Wir haben so viel Müll auf die Straße geschmissen, den müssen wir wegmachen. Wenn man eine Tonne Kohlenstoff aus dem Boden nimmt, muss man auch eine Tonne CO2 wieder wegräumen.
Kann es ohne »Carbon Capturing« gehen? Ist das unser letzter Ausweg?
Mit der heutigen CO2-Rate ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir die zwei Grad Erwärmung überschreiten, nicht mehr klein. Insofern ist das Einfangen und Speichern von CO2 unvermeidbar. Wenn man nichts tut, geht es nicht weg. Oder nur ganz langsam. Da gibt es ein Missverständnis: Selbst wenn wir aufhören, CO2 auszustoßen, wird das Problem nicht automatisch weggehen. Wir müssen hinter uns aufräumen. Die Natur räumt auch auf, aber das dauert viel zu lange, so lange können wir nicht warten.
Müssen wir die Verursacher zwingen, das CO2 wieder einzufangen oder für das Einfangen zu bezahlen?
Ja, aber am Ende sind wir natürlich die Konsumenten, die das bezahlen. Bei den aktuellen Preisen für »Carbon Capturing« müsste ich an der Tankstelle 25 Cent pro Liter Benzin mehr bezahlen. Die Entwicklung des »Direct Air Capture« (DAC) ähnelt der des ersten Flugzeugs. Das Flugzeug ist schwerer als die Luft. Da wurde auch gesagt: Das geht ja gar nicht. Genau so sagen Kritiker, CO2 aus der Luft nehmen, kann man gar nicht oder es ist viel zu teuer. Von daher brauchte es eine neue Generation. David Keith (Anmerkung: Harvard-Professor und Gründer der kanadischen Firma »Carbon Engineering«) hat das hingekriegt, fängt CO2 ein und wandelt es in Benzin um. Es funktioniert. Hochachtung!
David Keith hat im Fachjournal Joule gerade beschrieben, dass seine Firma das CO2 für weniger als 100 Dollar pro Tonne filtern kann. Sie sprechen von 50 Dollar, andere aber vom 20-fachen Preis.
Ich meine, man kann da noch ein ganzes Stück drunter kommen. Die ersten Photovoltaik-Anlagen waren auch extrem teuer. Inzwischen werden sie massenproduziert und sind erschwinglich. Wenn das mal 30 Euro pro Tonne sind, dann zahlt der Autofahrer 6 oder 7 Cent pro Liter Benzin mehr. Ölpreise gehen stärker rauf und runter als das, und die Welt geht nicht unter. Da kommt man in ein Preisgebiet, in dem man sich darüber nicht mehr streiten muss. Die kompliziertere Frage ist: Wer zahlt für das CO2, das schon draussen ist?
»Man kann die Augen noch eine Weile verschließen – aber irgendwann wird's wehtun.«
Ja, wer denn?
Wir streiten uns auch nicht darum: Wer bezahlt für die Müllabfuhr? Wenn ich den Dreck einfach rausschmeiße, kommt jemand, der sagt: So geht es nicht. Im Grunde haben wir heute die gleiche Diskussion, die wir vor 150 Jahren über Abwasser hatten. Plötzlich wussten wir, dass Abwasser Cholera verursacht und dann konnten wir’s. So wird es hier auch sein. Die Physik dahinter ist einfach. Das Einleuchtende an dem Problem ist: Es wird immer schlimmer, je länger wir warten. Die Frage ist: Wieviel Schaden nehmen wir hin, bevor wir aufhören?
Tatsächlich verstehe ich nicht, warum die Menschen, aber auch Politiker und Konzerne dieses Anliegen nicht als dringender empfinden.
Weil es 50 Jahre weg ist. Wir wissen eigentlich nicht, wie es ist, wenn die CO2-Konzentration so stark steigt. Wir haben dieses Klima noch nicht gesehen. Wir merken die ersten Folgen, und wenn man die nicht sehen will, kann man die Augen noch eine Weile verschließen. Aber irgendwann wird’s wehtun.
Sie haben nun in Ihrem »Center for Negative Carbon Emissions« an der Arizona State University ein neues Material entdeckt, das CO2 viel effektiver bindet als jedes andere.
Das Material an sich ist ein gewöhnliches Kunstharz. Die spezielle Klasse, die wir anschauen, funktioniert mit Ionenaustausch. Vereinfacht ausgedrückt: Früher hatten Sie vielleicht einen Kalkentferner im Haus, da muss man hin und wieder das Kalzium rauswaschen. Bei unserem Kunstharz ist es andersrum, hier ist es das negative Ion, das frei ist. Wenn das Kunstharz trocken ist, bindet es CO2 sehr stark. Wenn es nass wird, gibt es es wieder zurück. Wir können draußen im Trockenen CO2 aufnehmen und dann im feuchten Gewächshaus wieder rauslassen. Damit haben wir fast keine Energie verbraucht. Anders als die anderen Methoden brauchen wir dafür keine Propeller, keine Ventilatoren. Wir sind mit Wasser etwa zehnmal billiger als wir mit Energie wären. Als Resultat können wir ein Zwischenprodukt herstellen, das aussieht wie Fluggas. Das können wir zu reinem, sauberen CO2 machen.
Haben Sie die Vision, einen Wald mit künstlichen Bäumen zu pflanzen, die das CO2 1000-mal besser einfangen als natürliche Bäume?
Das ist ungefähr richtig. Wieviel CO2 das Material einfängt, hängt von der Windgeschwindigkeit ab und von anderen Faktoren. Ein großer synthetischer Baum kann am Tag eine Tonne einfangen. Es könnte auch so aussehen wir ein großer Luftfilter in der Klimaanlage, aber tatsächlich gestaltet sich das Design mehr und mehr wie ein Baum. Der Baum macht ja im Grunde genau dasselbe. Der steht im Wind und sammelt das CO2. Für uns ist das wichtig, denn die chemischen Ingenieure haben immer gesagt: Das kann man nicht bezahlen. Deshalb brauchen wir einen guten Trick: Der erste Schritt muss billig sein. Unser Material steht da passiv im Wind, genau wie der Baum.
Gibt’s das schon?
Wir haben schon 2008 den ersten Prototypen gebaut, aber seitdem hat sich unsere Technik sehr weiter entwickelt. In einem Jahr könnten wir einen neuen Prototypen haben, der gut läuft. Aber es ist schwer, dafür Geld zu kriegen.
Muss man die künstlichen Bäume nicht ständig reinigen?
Ich würde das nicht als Reinigen ansehen, sondern als Teil des Jobs. Es gibt zwei Phasen: In der ersten Phase steht es im Wind und lädt sich voll. Das dauert im Augenblick eine Stunde, dann ist es voll und Sie müssen das CO2 wieder rauswaschen. Das heisst, das Material kommt in einen geschlossenen Raum, wo wir es nassmachen. Im Augenblick haben wir Maschinen, die etwa so aussehen wie Matratzen, die wie ein Akkordeon in eine Kiste klappen. Wir ziehen dann das CO2 raus, benutzen es in diesem Fall für die Düngung von Algen für Kosmetikprodukte. Wenn es leer ist, öffnet sich die Kiste, und das Material fängt wieder CO2 ein.
Wohin mit dem eingefangen CO2? Sprudelwasser? In Gewächshäuser leiten, wie es die Schweizer machen? Vergraben?
Die Welt verbraucht dafür nicht genügend Sprudel, außerdem wird das CO2 dann gleich wieder freigesetzt. Wir brauchen auch nicht so wahnsinnig viele Algen für Kosmetikprodukte. Es gibt im Grunde nur zwei Sachen, die man damit machen kann: Entweder man speichert das CO2 ab, um die alten Sünden auszugleichen. Oder der einzige wirklich große Verbrauch ist Treibstoff. Das sehe ich als sehr wichtig an. Wenn wir mit Solar- oder Windenergie aus dem CO2 neuen Treibstoff machen, kriegen wir CO2-neutralen Treibstoff. Man kann das CO2 auch in der Infrastruktur verwenden, zum Beispiel Brücken mit Kohlenstofffasern statt mit Beton bauen. Wenn ich 30 Dollar oder mehr bezahlen muss, um eine Tonne CO2 loszuwerden, aber es stattdessen für eine Leitplanke benutzen kann, ist das natürlich viel interessanter. Damit ist dann auch das Speicherproblem weg.
Was ist mit den anderen Geoengineering-Ideen – riesige Sonnensegel im All? Eisen auf die Meere zur Algendüngung? »Carbon Farming«?
»Carbon Farming« und andere biologische Wege, CO2 einzusammeln, helfen. Aber am Ende sind diese Anstrengungen in der Größe limitiert. Wenn wir in 40 Jahren 100ppm wiederhaben wollen, müssten Sie Biomasse auf Flächen anbauen, die größer sind als die heutigen Landwirtschaftsflächen. Die Risiken der Eisendüngung sind sehr, sehr groß. Wir haben die Ostsee und andere Gewässer wie den Mississippi ohnehin schon durch zu viel Düngung mal fast kaputtgemacht. Die Sonnensegel oder Solar Radiation Management sehe ich als potenzielle Notlösung. Es ist wichtig zu wissen, ob das im Ernstfall funktionieren würde, aber es löst das Problem nicht. Ich halte die Technik für durchaus möglich, es kann sein, dass die Temperaturen so dramatisch steigen, dass wir diese Notlösung brauchen, aber dann sollten wir da auch wieder rauskommen. Das ist wie ein Druckverband, um die Blutung zu stoppen. Man muss danach immer noch zum Arzt gehen und das wirksam behandeln.
Macht Ihnen die Leugnung des Klimawandels durch die Trump-Regierung zu schaffen?
Was kann man da schon sagen? Dieses Problem braucht Führungskompetenz, die USA haben in den letzten Jahren diese Rolle aufgegeben, vielleicht hatten sie sie auch nie. Trotz allem steht »Direct Air Capturing« dort schon im Gesetz: Wer CO2 entsorgt, bekommt einen Steuerkredit von 50 Dollar pro Tonne. Der Rest der Welt hat auch nicht viel mehr gemacht, nur viel mehr darüber geredet. Meine Hoffnung ist China, denn das Land hat akute Luftverschmutzungsprobleme. Das führt dazu, dass man darüber nachdenkt: Wie können wir karbonneutral werden? Das CO2 wieder aus der Luft zu holen, wird eine riesige Industrie, wenn es ernst wird. Wenn Sie soviel CO2 einsammeln, wie wir raushauen, müssen Sie eine gigantisch große Industrie aufbauen, großer als die Ölindustrie, in einer Größenordnung von einer Trillion Dollar pro Jahr. Deshalb sehe ich da ein Business-Modell, das darauf ausgerichtet ist, nicht ein Produkt zu produzieren, sondern einen Service, der meinen Müll wegräumt und dafür bezahlt wird. Wir können dafür verschiedene Methoden entwickeln, aber die Atmosphäre kann nicht die Müllhalde für CO2 sein.