Chris Nikic, 21, aus Orlando, Florida, hat kürzlich Sport-Geschichte geschrieben: Er ist der erste Mensch mit Down-Syndrom, der einen Ironman geschafft hat. Am 7. November absolvierte er die 3,86 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen in Panama City Beach, Florida, in unter 17 Stunden und sicherte sich damit den Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. Im Ziel fiel er seinem Vater und seiner älteren Schwester Jacky um den Hals. Im Gespräch erklären er und sein Vater Nik, ein Business Coach, warum es dabei nicht nur um ihn geht und dass er auch andere inspirieren möchte, jeden Tag ein Prozent besser zu werden.
Gratuliere zum Weltrekord! Wie waren die Reaktionen auf Ihren Erfolg, Chris?
Chris Nikic: Ganz viele Umarmungen!
Nik Nikic: Die Nachbarn haben einen Fünf-Kilometer-Lauf mit Chris gemacht. Letzte Woche hat er den Gouverneur von Florida getroffen.
Chris Nikic: Und ganz viele Leute kommen auf mich zu und sagen, dass ich liebenswert bin.
Ist das Rennen für Sie gut gelaufen? Oder gab es einen Moment, in dem Sie ans Aufgeben gedacht haben?
Chris Nikic: Das Radfahren war eine Herausforderung. Bei Kilometer 80 bin ich gestürzt. Aber mein Papa war da, hat mich zur Seite gezogen und gefragt: Was ist dir wichtiger, deine Rückenschmerzen oder dein Traum? Ich habe gesagt: mein Traum. Dann bin ich wieder los und habe die Zeit gutgemacht.
Um zu verstehen, was für eine unglaubliche Leistung das ist, muss man für die Leser auch dazu sagen: Sie hatten Ihre erste Operation am offenen Herzen mit fünf Monaten. Als Kind waren Sie so schwach, dass Sie erst mit vier Jahren ohne Hilfe gehen konnten. Wie hilft Ihnen der Sport?
Chris Nikic: Ich spiele schon seit Jahren Golf, Basketball und laufe. Aber ich habe in den Spiegel geschaut und mir gesagt: Konzentrier dich auf den Ironman, denn wenn jemand den Ironman macht, dann kann er auch alle anderen Träume verwirklichen.
Müssen Sie härter trainieren als andere, weil Trisomie 21 oft mit Muskelschwäche einhergeht?
Nik Nikic: Chris muss wahrscheinlich fünf oder zehn Mal härter trainieren als andere, um die Muskelkraft zu entwickeln, die er braucht, um so ein Rennen zu schaffen. Die zweite Herausforderung ist das Gleichgewicht. Er hat erst mit 15 Radfahren gelernt, und es ist heute noch so, dass er nicht allein aufsteigen und losradeln kann. Jemand muss ihn halten, bis er Fahrt aufnimmt. Er kann auch nicht gleichzeitig trinken und die Balance halten, also muss er alle 30 Minuten absteigen, um zu trinken. Bei Kilometer 60 kam er dabei in einem Haufen Feuerameisen zu stehen, die ihn bissen, und seine Knöchel schwollen an. Die dritte Herausforderung ist seine Reaktionszeit. Er musste lernen, schneller zu reagieren, um einen Zusammenstoß zu verhindern oder Hindernissen auszuweichen. Wir betrachten das alles als Gelegenheit, smarter und besser zu werden, und Wege zu finden, diese Hindernisse zu meistern.
Chris Nikic: Meine größte Herausforderung ist, dass ich meine Couch, Videos und Pizza mag.
Sie trainieren sechs Tage die Woche mit einem lokalen Team der Special Olympics und Ihrem Coach Dan Grieb, mit dem Sie beim Schwimmen und Laufen durch ein Gummiband verbunden waren. Aber helfen oder anschieben darf er nicht, oder?
Chris Nikic: Er feuert mich an und hilft mir, dass ich nicht die Orientierung verliere. Aber den nächsten Ironman machen wir ohne Gurt.
Nik Nikic: Das haben wir nur beim ersten Ironman gemacht, damit er sich sicherer fühlt.
»Mit 17 Jahren brauchte er vier Ohr-Operationen und die Ärzte sagten, das Schwimmen könnte er vergessen. Das haben wir alles überwunden«
Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, für den Ironman zu trainieren?
Chris Nikic: Vor einem Jahr habe ich an einem 1-Kilometer-Schwimmen teilgenommen, ich durfte mich auf einer Hauswand verewigen und habe geschrieben »Chris World Champ«.
Nik Nikic: Dann haben wir überlegt, worin er denn Weltmeister werden könnte, und haben gehört, dass noch nie jemand mit Down-Syndrom einen Ironman geschafft hat. Mit 17 Jahren brauchte er vier Ohr-Operationen und die Ärzte sagten, das Schwimmen könnte er vergessen. Das haben wir alles überwunden.
Chris Nikic: Es geht darum, alle zu inspirieren. Kids mit Down-Syndrom werden unterschätzt. Die Ärzte und Experten reden alle Mist, darauf höre ich nicht mehr. Ich bekomme so viele Briefe von Eltern, die sagen, ich inspiriere ihre Kinder, ich bin ihr Held. Ich bin liebenswert. Die Experten sollte man abschalten.
Nik Nikic: Entspann dich, Buddy, du gehst da sehr leidenschaftlich ran!
Chris Nikic: Bin ich auch!
Nik, wenn ich es richtig verstehe, haben Ihnen die Ärzte und Experten tatsächlich gesagt, Sie sollten von Ihrem Sohn nicht viel erwarten, oder?
Nik Nikic: Ja, viele Jahre haben Expertenmeinungen mich und meine Frau darin beschränkt, wozu wir Chris in der Lage sahen. Vor zwei Jahren haben wir aufgehört, auf andere zu hören – seitdem hören wir auf Chris. Wir fragen ihn, was seine Träume sind, was er machen kann und machen will. Er hat uns überrascht. Innerhalb von einem Jahr für einen Ironman zu trainieren ist für jeden schwierig, ganz zu schweigen von jemandem mit Down-Syndrom. Seit er das geschafft hat, fragen wir uns, was er sonst noch alles schaffen kann!
Chris, was möchten Sie sonst noch schaffen?
Chris Nikic: Ich wünsche mir mein eigenes Auto, mein eigenes Haus, und ich will eine wirklich heiße Blondine aus Minnesota als Frau. Das ist ein sehr wichtiger Teil meines Plans.
Warum muss sie blond und aus Minnesota sein?
Chris nimmt ein gerahmtes Foto und hält es in die Zoom-Kamera.
Nik Nikic: Das ist das Hochzeitsfoto meiner Frau Patty und mir. Ich habe eine blonde Frau aus Minnesota geheiratet, seine Mutter.
Chris Nikic: Ich will sein Haus, seine Firma und eine Frau wie sie.
Vater und Sohn boxen sich jetzt gegenseitig spielerisch in die Seite.
Nik Nikic: Er hat eine große Schreibwand in seinem Zimmer, da schreiben wir jeden Tag seine Ziele und Träume drauf und was er gemacht hat.
Chris Nikic: Das habe ich immer vor Augen, wenn ich aufwache. Ich bin jetzt mit der Schule fertig und halte Vorträge. Ich will andere Kinder und ihre Eltern motivieren.
Chris, Sie tragen ein leuchtend oranges T-Shirt mit einem großen »1% better« vorn drauf. Was genau ist damit gemeint?
Chris Nikic: Es geht darum, jeden Tag ein Prozent besser zu werden. Ich habe vor einem Jahr mit einem Liegestütz, einem Situp und einer Kniebeuge am Tag angefangen. Jetzt mache ich jeden Tag 200 Liegestützen, 200 Situps und 200 Kniebeugen. Bis zum nächsten Jahr schaffe ich jeden Tag 500 Liegestützen, Situps und Kniebeugen. Das macht auch einen knackigen Hintern und darauf stehen die Ladies. Mein Ziel ist, jede Blondine zu beeindrucken, der ich begegne.
Nik Nikic: Okay, genug jetzt mit den Blondinen. Also, die Herausforderung ist, jeden Tag ein bisschen besser zu werden, aber auch, Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Nichtbehinderte wie Sie und ich anderen dabei helfen können.
Es geht also nicht nur um Sie, Chris, sondern darum, auch andere dazu zu inspirieren, Menschen mit Behinderungen zu helfen, Herausforderungen zu überwinden.
Nik Nikic: Man schafft sowas wie den Ironman nicht allein. Chris hat Freunde, Trainer und eine Gemeinschaft. Den »1 Percent Challenge« haben wir auch dafür ausgerufen, dass andere dieses Modell kopieren und eine Gemeinschaft kreieren, um Leuten wie Chris zu ihren besten Leistungen zu verhelfen.
Nik, das Ironman-Training hat die Kraft und den Gleichgewichtssinn von Chris verbessert. Sehen Sie noch andere Veränderungen in ihm?
Nik Nikic: Chris trainiert seit zwei Jahren, aber erst seit einem Jahr intensiv. Er ist daran auch intellektuell und emotional gewachsen, erinnert Dinge viel besser, lernt viel schneller. Noch vor drei Monaten wäre er nicht in der Lage gewesen, dieses Interview zu führen und Ihre Fragen so gut zu verstehen. Alles funktioniert einfach viel besser. Das Allerwichtigste ist, dass er jetzt eine Gemeinschaft hat, die er nie zuvor hatte. Er hat eine Gruppe von Freunden, mit denen er trainiert. Sie mögen und bewundern ihn. Das ist die größte Belohnung. Wir freuen uns enorm, wenn wir unseren Sohn als Teil dieser Gemeinschaft sehen, und ich weiß, dass sich viele Familien mit behinderten Kindern nichts sehnlicher wünschen. Die Lernkurve von Kinder mit Down-Syndrom ist einfach anders als die von anderen Kindern. Vor einem Jahr war er der langsamste in seiner Trainingsgruppe, alle haben ihn überholt. Aber die anderen Sportler haben jetzt ihr Plateau erreicht – und Chris wird einfach immer besser und überholt nun alle. Die denken jetzt darüber nach, ob sie vielleicht auch einen Ironman schaffen könnten oder wenigstens einen halben. Deshalb habe ich eine Botschaft für andere Eltern von Kindern mit Down-Syndrom: Es ist nicht so, dass sie es nicht schaffen können. Wir müssen nur geduldig sein, weil ihre Lernkurve anders verläuft.
Wie können Leute beim 1-Prozent-Challenge mitmachen?
Nik Nikic: Wir wollen eine Bewegung schaffen, bei der Menschen mitmachen, die selbst täglich ein Prozent besser werden wollen, aber auch andere auf dieser Reise mitnehmen. Wir bieten ein T-Shirt an, aber das ist nur eine optische Motivation. Wir arbeiten daran, auf unserer Webseite chrisnikic.com mehr Ressourcen anzubieten, denn dahinter steckt mehr, eine ganze Philosophie. Es geht nicht darum, für einen Wettkampf zu trainieren, sondern sich dauerhaft gute Gewohnheiten anzueignen, eine gute Motivation. Chris hat vor kurzem einen Vortrag vor 1000 Leuten gehalten. Die Leute wollen ihn hören. Er ist unschuldig, großartig und arbeitet unglaublich hart.
Chris, was ist das nächste Ziel?
Chris Nikic: Ich bin nächstes Jahr zum Ironman Hawaii eingeladen. Ich will andere Kinder und Eltern inspirieren. Die sollen sagen, schau dir den Jungen an, der macht den Ironman Hawaii! Und 2022 starte ich bei den Special Olympics USA. Papa, Umarmung!
Nik Nikic: Du bist unglaublich. Ich liebe dich, Baby.
Chris Nikic: Wenn es schwierig wird, muss ich einfach meinen Dad umarmen.
Nik Nikic: Umarmungen machen alles besser, nicht wahr?