Der Sehnotretter

Gute und günstige Orientierungshilfen für Blinde? Der 20-jährige Kanadier Alex Deans entwickelt sie – inspiriert von Tieren, vor denen sich viele gruseln.

Das Problem: Es fehlen Orientierungshilfen für Blinde.
Die Lösung: iAid, eine High-Tech-Lösung, entworfen von einem Teenager.

Wie viele 19-Jährige haben vom berühmten MIT schon einen Planeten nach sich benannt bekommen, sind von der Queen ausgezeichnet worden und haben gemeinsam mit Magic Johnson auf der Bühne gestanden? Keiner? Doch, einer: Alex Deans.

Der schlaksige Student an der kanadischen McGill-Universität wiegelt verschämt ab. »Das war nur ein ganz kleiner Planet«, meint er bescheiden.

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Es gibt aber halt nicht viele Teenager, die in dem Alter schon als Berufsbezeichnung »Erfinder, Künstler, TED-Speaker« angeben können. Und nicht jeder Zwölfjährige wäre, wie er damals, in Windsor, Ontario, auf die Frau zugegangen, die unsicher am Straßenrand stand und sich nicht traute, die Fahrbahn zu überqueren. »Ich fragte, ob ich ihr helfen könnte. Ich dachte zuerst, sie ist vielleicht verwirrt, aber als ich direkt vor ihr stand, merkte ich, dass sie vollständig blind war.« Die Frau erklärte ihm, ihr Blindenhund sei vor kurzem unerwartet gestorben. Es dauere Jahre, einen Blindenhund richtig zu trainieren, das Training koste leicht um die 20 000 Euro, das könne sie sich nicht leisten, und sie sei es nicht gewohnt, nur mit Taststock unterwegs zu sein. Der Taststock half ihr zwar, nicht gegen Hindernisse zu laufen, aber er konnte ihr natürlich nicht die Richtung weisen. Alex Deans kann sich nicht daran erinnern, vorher schon einmal einem blinden Menschen begegnet zu sein, aber nun war sein Interesse geweckt. »Wir machen so rasante technische Fortschritte, muss es da nicht auch mehr Lösungen für Blinde geben?«

Natürlich half er ihr über die Straße, aber zuhause recherchierte er sofort, was es an Orientierungshilfen für Blinde gab. Das Ergebnis? »Nicht viel, und alles sehr teuer.« Also tat er, was man eben so macht als Zwölfjähriger: »Ich beschloss, für das Problem eine Lösung zu erfinden. Jedes Jahr erblinden sieben Millionen Menschen, da will ich was tun.«

Wenn man ihn reden hört, klingt es wie ein Klacks: Drei Jahre lang brachte er sich das Coden bei, informierte sich über Mikro-Roboter, und nach drei Jahren hatte er einen Prototyp. »Es gibt eine ganze Reihe von Erfindungen, die versuchen, Blinden Orientierungshilfe zu geben«, sagt Deans, »aber die sind unheimlich umständlich. Sie arbeiten entweder mit Audiosignalen, das funktioniert dann aber oft nicht im lauten Stadtverkehr. Oder man muss einen Helm tragen und eine Weste, die vibriert, das ist alles viel zu mühsam.«

Deans nahm sich Fledermäuse zum Vorbild und ihre faszinierende Fähigkeit, die Umgebung per Echoortung auszuloten. Sie schicken also für Menschen unhörbare Schallwellen aus und werten dann das Echo aus, um zu erkunden, wie weit Objekte entfernt sind und wie groß sie sind. Alex Deans führt vor, wie er das Prinzip auf sein iAid übertragen hat: Er trägt einen dicken schwarzen Gürtel, an dem Sensoren und eine integrierte Kamera befestigt sind, der Biosonar »tastet« die Umgebung ab, eine Mischung aus Siri und Google Maps helfen bei der Koordination. Der Clou ist der Joystick: »Der dreht sich automatisch in die richtige Richtung, als würde dich jemand an die Hand nehmen.« Alex sagt also zum Beispiel: »Zum nächsten Coffeeshop!« Der Joystick dreht sich und weist ihn sachte zum nächsten Café. »Ich vergleiche den Joystick mit einem Freund, der einen 24 Stunden am Tag begleitet.«

Das iAid ist schon ziemlich weit entwickelt, zwar noch nicht ganz zur Marktreife, aber er darf es an Menschen ausprobieren, und das hat er mit Hilfe des kanadischen Instituts für Blinde (CNIB) ausgiebig gemacht. Im Augenblick arbeitet er daran, dass das iAid »auch kleine und winzige Hindernisse erkennt«. Wichtig ist ihm, das Gerät so zu konzipieren, dass es erschwinglich ist. Es soll nicht Hunderte von Dollar kosten, »sondern um die 80«.

Die Erfindung brachte ihm ungeahnte Ehren ein: Die Queen empfing den Kanadier, dessen Mutter Britin ist, im letzten Jahr im Buckingham-Palast, um ihn als einen der 25 Top Leader unter 25 Jahren zu ehren. Die Organization of American States nannte das iAid »eine der Top 50 Ideen weltweit«, der Prototyp wurde sogar schon in National Science Museum ausgestellt und gewann zahlreiche Preise. Noch bevor er volljährig wurde, stand Deans schon mit Magic Johnson und Nick Jonas auf der Bühne und traf den kanadischen Premier Justin Trudeau. Inzwischen ist er 20 und studiert Medizintechnologie; im Sommer wird er mit einem Programm der Queen nach Malawi und Botswana reisen, um dort die sogenannte Flussblindheit »auszumerzen«, die durch Fadenwürmer ausgelöst wird. Ein Chirurg wird zahlreiche perationen durchführen, Deans Job ist, »Lehrer an einem Smartphone-Programm auszubilden, damit sie die Krankheit bei ihren Schülern frühzeitig erkennen.«

Alex Deans Eltern sind zwar beide Augenärzte, Deans schwört aber, der Beruf seiner Eltern hätte mit seinem Erfindungsdrang wenig zu tun. »Es wäre hilfreicher, wenn sie programmieren könnten«, meint er trocken. Er rechnet ihnen aber hoch an, dass sie ihn nie zum Studieren drängten, sondern ihm und seinem kleinen Bruder im Keller eine Werkstatt einrichteten, in der er sich ungestört austoben durfte – selbst dann noch, als vor einigen Jahren sein selbstgebauter Energie-Reaktor explodierte und das ganze Haus mit Salzwasser überschwemmte.

Im Augenblick versucht er sich daran, Bioplastik aus Kartoffeln herzustellen, außerdem bastelt er im Auftrag von Chevrolet an einer Kampagne für Gleichaltrige gegen das SMS-Schreiben am Steuer.

Aber die Konkurrenz schläft nicht: Sein jüngerer Bruder Markus arbeitet derzeit an einer Methode, das Zika-Virus zu besiegen.

Foto: Getty Images