Das Problem: Viele Geschäfte haben vor der Eingangstür Stufen, die man mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen kaum hochkommt.
Die Lösung: Rita Ebel, 63, aus Hanau baut seit zwei Jahren aufsehenerregend bunte Rampen aus gespendeten Legosteinen und verschenkt diese an interessierte Ladenbesitzer und Privatpersonen.
Wie sind Sie zur »Lego-Oma« geworden?
Rita Ebel: Vor einem guten Jahr hat sich meine 13 Jahre alte Enkelin beschwert: Immer wenn ich zur Oma gehe, geht’s nur noch um Lego. Dann sagte ihre Mama: Na, du hast halt eine Lego-Oma. Bis zu ihrem nächsten Besuch hatte meine Tochter für mich einen Instagram-Account angelegt unter dem Namen Die_Lego_Oma. Seither bin ich die Lego-Oma.
Ist es ein Kinderspiel, Rollstuhlrampen aus Lego zu bauen?
Das kann im Grunde jeder nachmachen. Aber die meisten Leute unterschätzen, wie viele Steine man braucht. Außerdem wird jeder Stein verklebt, damit das Ganze stabil ist und auch ein schwerer Elektrorollstuhl drüber fahren kann. Rein vom Volumen her brauchen wir mindestens 7000 bis 8000 Steine für eine Rampe, je nach Größe. An den einfacheren Rampen sitzen wir acht bis zehn Stunden, aber seit wir bunte Muster und Wunschdesigns oder Firmenlogos mit einbauen, arbeiten wir oft 20 oder 30 Stunden an einer Rampe.
Eigentlich ein ideales Lockdown-Hobby.
Das stimmt! Seit dem Lockdown bekommen wir auch viel mehr Legosteine gespendet, weil viele ihre Keller und Dachböden ausräumen. Aber manche sitzen auf ihren Legos und geben die nicht her, weil sie eine sentimentale Beziehung dazu haben.
Wie kamen Sie auf die Idee mit den Rampen?
Anfang 2019 habe ich in einer Fachzeitschrift für Querschnittsgelähmte einen Bericht über Behindertenrampen aus Legosteinen gesehen und war sofort begeistert. Zu dem Zeitpunkt wusste kaum einer, dass das geht. Das Konzept stammt von Raul Krauthausen, einem bekannten Behinderten-Aktivisten, der 2014 für den eigenen Gebrauch eine Minirampe baute. Wir haben dann Bauanleitungen für größere Rampen gefunden und überarbeitet, und mein Mann Wolfgang und ich haben angefangen, um Lego-Spenden zu bitten. Wir können nie genug haben. Viele denken, Lego sei federleicht, aber so eine Rampe kann schon 15 Kilo wiegen.
Wieviel kosten die Rampen?
Wir geben die umsonst her; die Steine werden ja gespendet. Wir machen das alles im Familien- und Bekanntenkreis. Am Anfang haben wir nur lokal in Hanau um Spenden geworben und deshalb auch nur für Hanau gebaut. Aber dann kamen immer mehr Spenden aus ganz Deutschland und sogar aus anderen Ländern, aus Italien oder Spanien, seitdem baue ich auch für andere Städte. Eine unserer Legorampen liegt sogar vor einem Laden in Paris, und gerade haben wir eine Rampe für ein schwerstbehindertes Mädchen in Österreich gebaut, damit sie aus der Wohnung auf die Terrasse rollen kann. Sie wünschte sich ein weißes Pferd mit rosa Mähne, jetzt fehlen uns nur noch 20 rosa Legosteine. (Ihr Mann Wolfgang Ebel hält die fast fertige Rampe in die Kamera.)
Rita Ebels Rampen
Warum liegt Ihnen das Thema so am Herzen?
Die Rampen helfen nicht nur Rollstuhlfahrern, sondern ich sehe auch oft Menschen mit Rollatoren und Kinderwägen, die Probleme haben, eine Stufe zu überbrücken. Ich selbst sitze seit einem Verkehrsunfall vor 26 Jahren mit einer inkompletten Querschnittslähmung im Rollstuhl. Wenn man als Betroffene sowas startet, nehmen die Leute das viel besser an, als wenn ich jetzt als Nichtbehinderte einem Rollstuhlfahrer erklären würde, wie er in einen Laden reinkommt. Ich schaffe es, kurze Strecken am Stock zu laufen, aber kleine Stufen, die anderen gar nicht auffallen, sind für uns unüberwindbare Hindernisse. Die bunten Rampen vor den Läden sind ja echte Hingucker; die signalisieren auch: Menschen mit Behinderung sind willkommen. Es ist mindestens so wichtig, Leute zum Nachdenken anzuregen, die sich bisher darüber keine Gedanken gemacht haben. Dass nicht nur Hemmschwellen auf den Straßen überwunden werden, sondern Hemmschwellen in den Köpfen. Es ist eine Art, auf kreative, nette Weise auf ein Problem aufmerksam zu machen, aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Ich glaube, auf dem Weg lässt sich viel mehr erreichen.
Wieviel Zeit verbringen Sie mittlerweile mit den Legorampen?
Wolfgang Ebel: Zuviel!
Rita Ebel: Ich sitze fast jeden Tag stundenlang am PC und am Telefon und helfe den Leuten in anderen Städten, wenn sie Fragen haben. Dann freue ich mich, wenn ich zum Bauen komme. Es ist schon irre viel Zeit, die da drauf geht, und zwar für die ganze Familie. Die bauen alle mit. Unsere Wohnung sieht aus wie ein Legolager.
Wolfgang Ebel: Wir haben inzwischen 1,2 Tonnen Legosteine verbaut. Es steckt an.
1,2 Tonnen? Wahnsinn!
Ich will die Idee in die ganze Welt tragen und freue mich über jede Stadt, die das übernimmt. Inzwischen gibt es Legorampenbauer in Saarbrücken-Dillingen, Baden-Baden, Darmstadt, Magdeburg, Köln, Ellwangen, Essen, Schweiz, Seligenstadt, Trier, München und Würzburg. Wir haben die Bauanleitungen im Bekanntenkreis in neun Sprachen übersetzt – Spanisch, Französich, sogar Kroatisch. Die Anleitungen haben wir schon über 420 Mal in die ganze Welt verschickt.
Haben diese Rampen auch Nachteile?
Für uns Rollstuhlfahrer ist das System ideal, aber für das Ordnungsamt sind es keine zertifizierten Rollstuhl-Rampen. Sie entsprechen nicht den Baubestimmungen. Es ist eine geduldete Geschichte. Ich hatte viel Glück in Hanau, dass der Bürgermeister, der Oberbügermeister und die Stadt das Projekt von Anfang an unterstützt haben. In München zum Beispiel musste eine Rampenbauerin Rampen wieder entfernen, weil das Ordnungsamt sie nicht wollte. Rein von der Theorie her könnte das Amt sogar Gebühren verlangen, weil die Rampen im öffentlichen Raum liegen. Da ist man auf das Wohlwollen der Stadt angewiesen. Wenn man um die Genehmigung bittet, kriegt man die nicht. Deshalb haben wir einfach drauflos gebaut. Wer lang fragt, kriegt Probleme.
Hat sich denn schon mal jemand mit einer Legorampe verletzt?
Rita Ebel: Nein, über unsere Rampen ist noch niemand gestürzt.
Wolfgang Ebel: Die Legorampen sind griffiger als Alurampen, weil sie eben nicht glatt sind. Die Bürokratie legt einem da manchmal Hürden in den Weg, das ist unverständlich.
Rita Ebel: Wenn man nur durch die Stadt geht und sieht, wie teilweise die herkömmlichem Rampen gebaut sind, da stehen einem die Haare zu Berge. Die müssten eigentlich abgerissen werden. Einem Rollstuhlfahrer ist das scheißegal, ob eine Rampe 6 oder 15 Prozent Steigung hat, wenn er dadurch einfach hochkommt. Wir haben, toi toi toi, bisher das Glück, dass unsere Rampen alle liegen bleiben dürfen. Die Geschäfteinhaber freuen sich und Kinder sowieso. Die sitzen oft neben unseren Rampen und versuchen, Legosteine rauszupuhlen; die älteren legen sich neben die Rampe und machen Selfies.
Die Rampe für das Mädchen in Österreich, über die Rita Ebel im Interview spricht, ist inzwischen fertig geworden: