Ties van der Hoeven, 41, sieht es schon vor seinem inneren Auge: In gar nicht allzuferner Zeit wird der bärtige Ingenieur auf einer Anhöhe über der Bardawil-Lagune stehen, einem weitgehend versandeten See im Norden der Sinai-Halbinsel, den nur ein schmaler Landstreifen vom Mittelmeer trennt. Statt der ausgedörrten, unnachgiebigen Erde mit der halbtoten Lagune, die derzeit dort darbt, wird das Werk seiner Arbeit vor ihm liegen – ein üppiges, grünes Tal voller fruchtbarer Felder, in der Mitte ein Wasserreservoir, aus dem die Anwohner wieder reichlich Fische fangen werden, wie früher. »Das war mal das Land, in dem Milch und Honig flossen, das verheißene Land, der Garten Eden«, schwärmt der holländische Ingenieur. »Wir können es wieder in ein Paradies verwandeln.«
Van der Hoeven mag ein ungewöhnlicher Geo-Ingenieur sein, der mit Hippie-Eltern auf einem Segelboot aufwuchs und sich nach eigener Aussage gerne mal einen Joint reinzieht. Aber seine Vision ist kein Hirngespinst. Die Vereinten Nationen haben die Wiederherstellung von Ökosystemen zur Priorität erklärt und hoffen, bis 2030 gut 350 Millionen Hektar Wüsten und ausgedörrte Landstriche in 70 Ländern zu begrünen. Auf fast allen Kontinenten haben Ingenieure und Aktivisten inzwischen bewiesen, dass das machbar ist. Eines der überzeugendsten Experimente: das Lössplateau im Norden Chinas, ein Gebiet etwa so groß wie Frankreich, in dem mehr als 50 Millionen Chinesen leben. 1994 begannen die chinesische Regierung und die Weltbank ein ambitioniertes, 25 Jahre währendes und 252 Millionen Dollar teures Rehabilitationsprogramm: Man untersagte Rodungen, terrassierte die steilen Hügel, um Bewässerung und Bepflanzungen zu ermöglichen, pflanzte einheimische Gewächse und regenerierte so erfolgreich das Ökosystem. »Zweieinhalb Millionen Menschen wurden aus der Armut befreit«, bilanzierte die Weltbank. »Durch die Einführung von nachhaltigen Landwirtschaftsmethoden verdoppelte sich das Einkommen der Bauern, und die geschundene Umwelt wurde wiederbelebt.«
Das zweite gigantische Beispiel ist die »große grüne Mauer«, ein 8000 Kilometer langer Grüngürtel, der sich durch elf Länder in der Sahel-Zone schlängeln soll, vom Senegal über Mali, Niger und Nigeria bis nach Äthiopien. Die Temperaturen steigen hier eineinhalb Mal schneller als im Weltdurchschnitt, und das ehrgeizige Vorhaben, bis 2030 100 Millionen Hektar ausgedörrten Landes zu begrünen, soll nicht nur Dürren und Hungersnöte lindern, sondern auch die Temperaturen senken. Das Vorhaben wird von 20 afrikanischen Ländern, der EU, der UN und der Weltbank unterstützt, ist seit gut fünf Jahren im Gang und zu 15 Prozent fertig. Nach Abschluss wird es laut der Initiatoren »die größte lebendige Struktur auf dem Planeten« sein, drei Mal so groß wie das australische Great Barrier Reef. Neben solchen Vorzeigeprojekten gibt es unzählige kleinere Wiederaufforstungsbemühungen auf der ganzen Welt, zum Beispiel die in München gegründete Initiative Plant for the Planet oder WildEast in England, die Familial Forestry in Indien oder Geoff Lawtons Permaculture Research Institute in Australien. Das Pflanzen von Bäumen ist ein Teamsport, an dem sich fast jede Nachbarschaft beteiligen kann, um den weltweiten Trend umzukehren: Im Augenblick roden wir nämlich weltweit mehr Bäume, als wir pflanzen.
Die Logik hinter den Aufforstungsplänen: In den letzten 50 Jahren sind durch den Menschen etwa 50 Prozent der Biomasse des Planeten zerstört worden. Wir haben die Verwüstung und Betonierung großer Landstriche vorangetrieben und die Erosion mit Rodungen und ausbeuterischer Landwirtschaft beschleunigt. Auch deshalb hat Van der Hoeven seine Firma »The Weather Makers« genannt, nach dem Titel von Tim Flannerys Buch über das Anthropozän. Die große Hoffnung: Weil Menschen die Verwüstung verursacht haben, können wir sie auch rückgängig machen.
Je länger Van der Hoeven sich mit der geologischen Beschaffenheit der Gegend beschäftigte, desto besessener wurde er
Van der Hoeven war eigentlich vor einigen Jahren nur um Rat gefragt worden, wie die Bardawil-Lagune am besten auszubaggern sei; damals war er bei der belgischen »Deme Group« beschäftigt, einer auf Landgewinnung und Küstenbau spezialisierten Firmengruppe. Er hatte jahrelang in Dubai gelebt und dort geholfen, die spektakulären, aber ökologisch katastrophalen künstlichen »Palminseln« aufzuschütten. »Geld, Alkohol, Partys«, fasst er seinen Lebensstil von damals zusammen. »Ich habe ein Stück meiner Seele dort verloren.«
Die 30 Kilometer lange und 14 Kilometer breite Bardawil-Lagune, früher einmal bis zu 40 Meter tief, hat im Augenblick nur noch eine Tiefe von 1,2 Metern, und die ägyptische Regierung hoffte, durch das Ausbaggern den Fischbestand zu erhöhen. Doch je länger Van der Hoeven sich mit der geologischen Beschaffenheit der Gegend beschäftigte, desto besessener wurde er. Als er den Dokumentarfilm Grünes Gold des Journalisten und Umweltaktivisten John Liu über die Begrünung des Lössplateaus sah, ging ihm ein Licht auf: »Zur Hölle, wir können die Lebensbedingungen von Hunderttausenden Menschen verbessern.«
Nachdem ihm John Liu das Lössplateau gezeigt und er mit eigenen Augen gesehen hatte, wie die Verwandlung der einst verdorrten Gegend gelungen war, entwickelten Liu, Van der Hoeven und ihre Teams einen Plan für die Renaturierung der Sinai-Halbinsel. Vor zwei Jahren legten sie diesen der ägyptischen Regierung vor. Genau wie das Lössplateau war auch die Sinai-Halbinsel vermutlich einmal fruchtbares Land, darauf weisen Höhlenzeichnungen von Flora und Fauna hin. »Die Lösung ist relativ einfach«, davon ist Van der Hoeven überzeugt. »Das Land sagt dir, wo du anfangen musst.«
Van der Hoevens Renaturierungsplan hat fünf Stufen: Im ersten Schritt wird die Lagune revitalisiert, im zweiten werden die Sumpfgebiete erweitert. »Die Küstengebiete zu restaurieren ist am wichtigsten, denn sie sind die produktivsten Ökosysteme der Welt.« Regenerative Fischzucht könne den Fischbestand von 5.000 auf 50.000 Tonnen erhöhen, was der lokalen Bevölkerung zugute käme. Im dritten Schritt will Van der Hoeven »das reiche Sediment der Lagune als Dünger nutzen« für salztolerante Pflanzen. Zur vierten Phase gehört das Einfangen von kondensiertem Frischwasser mit Nebelfolien auf den umliegenden Anhöhen, so will er die Wüste begrünen. Der letzte Schritt: die Restaurierung der ursprünglichen Wasserscheiden. »Indem man Vegetation hinzufügt und die Luftfeuchtigkeit erhöht, bekommt man wieder mehr Regen«, so erklärt Van der Hoeven stark verkürzt und vereinfacht, wie sich die Verwüstung umkehren lässt.
Der ganze Prozess dauert nach Van der Hoevens Schätzung 20 bis 40 Jahre, ließe sich aber durch zusätzliche Bewässerung beschleunigen; erste Erfolge würden schon nach wenigen Jahren sichtbar. Kostenschätzung: 31 bis 39 Milliarden Dollar. Eine gewaltige Summe, aber überschaubar im Vergleich zum Gewinn, den eine Wiederbegrünung der Region bringen könnte. Die ägyptische Regierung will laut Van der Hoeven mindestens Phase eins bezahlen; internationale Sponsoren sollen den Rest mitfinanzieren.
Die instabile politische Lage im Sinai hat den Projektstart bisher unmöglich gemacht, aber Van der Hoeven hofft, dass es bald losgehen kann. Er glaubt, die Renaturierung sei auch ein »Friedensplan«, der Stabilität und Wohlstand in die krisengeschüttelte Region bringen könne. Dass Konflikte selbst die sinnvollsten Umweltprojekte zerstören können, haben jüngst die Aktivisten der Initiative »One Million Trees« in Dubai erfahren. Ihr Projekt fiel dem Ehrgeiz zum Opfer, genau dort das größte Einkaufszentrum der Welt zu planen, wo die Umweltaktivisten ihre Setzlinge züchteten. Den Baumpflanzern wurden zeitweise Wasser und Strom abgesdreht, und die meist noch jungen Bäumchen verdorrten.
Ein essentieller Teil von Van der Hoevens Plan sind »Öko-Maschinen« oder »lebende Maschinen«, wie sie der Biologe John Todd entwarf, ein Pionier ökologischen Designs und Gründer des New Alchemy Institute in Massachusetts. Van der Hoeven hat eine solche Konstruktion bereits bei sich zuhause im holländischen s’Hertogenbosch errichtet. Von außen sieht sie aus wie ein Gewächshaus. Darin stehen durchsichtige Plastikfässer, in denen Phytoplankton wächst, außerdem Algen, Pilze, Würmer und Insekten, die später für gesunden Humus sorgen sollen. Kondensationswasser wird an der Plastikfolie gesammelt und den Pflanzen als Frischwasser wieder zugeführt, bis das Wasser nach und nach klarer wird und in den Öko-Fässern schließlich auch größere Pflanzen und Fische wachsen können. So soll das Ökosystem nach und nach gesunden, bis die Folien und Fässer überflüssig werden und die Fische in der Lagune ausgesetzt werden können.
Um Van der Hoevens Ambitionen zu ermessen, muss man sich Hunderte miteinander verbundene Fässer oder Ökomaschinen am Rande der Bardawil Lagune vorstellen, die einen künstlich beschleunigten, ökologischen Transformationsprozess einleiten und das Land wieder fruchtbar machen sollen. So würde nicht nur die Biodiversität erhöht und die Temperatur in der Region durch die Begrünung gemindert, sondern die wieder ergrünte Gegend würde dann auch als Auffangbecken »für Milliarden Tonnen CO2 dienen«, schätzt Van der Hoeven, auch wenn er diese sportliche Aussage nicht belegen kann.
Noch wichtiger ist ihm, dass die Wiederherstellung der ursprünglichen Wasserscheiden auch das Klima der gesamten Region beeinflussen könnte. »Wir ändern die Wind- und Regenmuster«, meint Van der Hoeven, der inzwischen zwei Stunden lang ohne Punkt und Komma gesprochen und dabei unzählige Landkarten und Modelle via Zoom auf den Bildschirm geladen hat. »Der Sinai ist das Klimaherz der Erde, ein Akupunktur-Punkt für den Klimawandel.« Im Augenblick zieht der Sinai Feuchtigkeit aus dem Mittelmeer. »Würde er begrünt, könnte das die Regendichte im Nahen Osten erhöhen.«
Es scheint, dass die Renaturierung nicht nur die Erde verändert, sondern auch die Menschen, die sie vorantreiben. John Liu hat seinen Posten als Fernsehkorrespondent längst aufgegeben und betätigt sich nun hauptberuflich als Berater für Umweltstiftungen. Und Van der Hoeven renaturiert sich mit seinen Plänen in gewisser Hinsicht auch selbst. »Um ehrlich zu sein, war ich eine verlorene Seele, bevor ich in die Regenerierung einstieg.« Nun könnte sein Enthusiasmus kaum größer sein: »Wir haben die Lösung für den Klimawandel gefunden.«