Das Problem: 2300 Kinder von Einwanderern, darunter Säuglinge und Kleinkinder, wurden von der amerikanischen Regierung von ihren Eltern getrennt und es gibt keinen Plan, sie wieder zu vereinen.
Die Lösung: Ein kalifornisches Ehepaar sammelt Geld für Flüge, Anwälte und Bürgschaften, um Flüchtlingseltern und Kinder zusammen zu bringen.
Charlotte und Dave Willner sahen die gleiche Bilder wie wir alle: das Foto der nicht einmal zwei Jahre alte Yanela Sanchez aus Honduras in ihrem pinkfarbenen Pulli, die weinend zu ihrer Mutter aufschaut, während diese in Texas von Grenzoffizieren durchsucht wird. Die Bilder von Kindern in Käfigen, die an Hundezwingern erinnerten, und in vergitterten Bussen, wie sie zum Transport von Schwerverbrechern benutzt werden. Und die Willners hörten auch die Ton-Aufnahmen von weinenden Kleinkindern, die in Internierungszentren nach ihren Eltern schreien. Die Stimmen und Gesichter dieser Kinder stehen für die neue Anti-Einwanderungs-Politik der Trump-Regierung, welche dazu führte, dass Tausende Kinder von Einwanderern ihren Eltern nach der Einreise weggenommen wurden. Darunter sind Säuglinge, die erst acht Monate alt sind, und Kleinkinder in Windeln, die ihren Namen noch nicht aussprechen können.
Charlotte und Dave Willner in Menlo Park haben selbst eine zwei Jahre alte Tochter, und das Bild von Yanela Sanchez rührte sie zu Tränen, machte sie aber auch wütend. »Wenn wir die Gesichter dieser Kinder anschauen, sehen wir die Gesichter unserer eigenen Kinder«, sagt Charlotte Willner. Deshalb wollten sie nicht nur protestieren, sondern etwas tun. Nur was? Wie kann man als Einzelner wirksam gegen eine als falsch empfundene Politik der eigenen Regierung vorgehen?
Am Samstag vor einer Woche richtete das Paar auf Facebook eine Spendenseite ein mit dem Titel »Bringt Einwanderer-Eltern mit ihren Kindern zusammen«. Die Spenden gehen an einen gemeinnützigen Verein namens Raices, das steht für »Refugee and Immigrant Center for Education and Legal Services«, der in San Antonio Flüchtlinge und Einwanderer über ihre Rechte berät; es ist die größte Organisation dieser Art in Texas. Die Willners setzten ein Ziel, von dem sie dachten, dass sie es erreichen könnten: Sie wollten 1500 Dollar sammeln. Das würde reichen, um die Gefängnis-Kaution für eine Mutter zu hinterlegen, die sich dann auf die Suche nach ihrem Kind machen könnte. Soweitdie Idee.
Inzwischen haben die Willners über zwanzig Millionen Dollar gesammelt. 525.000 Menschen haben bereits gespendet und es geht weiter: Zu Spitzenzeiten gehen zehntausend Dollar pro Minute ein. Es ist die größte einzelne Spendenaktion, die jemals auf Facebook ins Leben gerufen wurde.
»Immer wieder bricht jemand im Büro in Tränen aus, wenn wir den Spendenstand checken«, sagt Jonathan Ryan, der Direktor von Raices. »Wir sind uns der enormen Verantwortung bewusst.« Der Verein wird das Geld nutzen, um mehr Anwälte und Ermittler einzustellen. Im letzten Jahr hatten drei Viertel der unbegleiteten Flüchtlingskinder keinen Anwalt, das soll sich ändern. Derzeit arbeitet der Verein mit 50 Anwälten zusammen, benötigt würden aber Hunderte. Der zweite Fokus: Hinterlegung von Kautionen, damit Einwanderer aus dem Gefängnis kommen und nach ihren Kindern suchen können.
Die Proteste gegen die Inhaftierung der Kinder wurden so vehement, dass Trump den Erlass inzwischen revidiert hat und nun Eltern mit ihren Kindern einsperren möchte. Vielen ist nicht klar, dass das Problem damit nicht gelöst ist: Erstens gibt es keine familiengerechten Gefängnisse, zweitens hat die Regierung keinen Plan, die bereits getrennten Kinder mit ihren Eltern wieder zu vereinen. Den Eltern wird nicht gesagt, wo ihre Kinder sind; die Kinder wissen nichts über den Verbleib ihrer Eltern. »Wenn einem im Gefängnis der Geldbeutel abgenommen wird, bekommt man dafür eine Quittung mit einer Nummer«, wütete ein Richter in El Paso, Texas, und schlug dabei tatsächlich mit der Faust auf sein Pult. »Und hier werden Eltern die Kinder weggenommen und sie bekommen gar nichts? Nicht einmal einen Zettel?«
Manche Eltern wurden bereits wieder nach Guatemala oder Honduras abgeschoben, während ihre Kinder Tausende Meilen entfernt in Texas, New York oder Kalifornien feststecken. Die Telefonnummer, die die Regierung ausgegeben hat, ist völlig überlastet, und die Helfer am anderen Ende können die immer gleiche Frage meistens auch nicht beantworten: Wo ist mein Kind? Und selbst wenn eine Mutter oder ein Vater erfährt, wo ihr Kind steckt, wer soll die Flüge nach Hause bezahlen? Etwa 500 Kinder sollen inzwischen zu Eltern oder Verwandten geschickt worden sein, aber genau weiß es keiner. Gerade meldete eines der größten Zentren in Texas, ein fünfzehnjähriger Junge sei am Wochenende vom Gelände spaziert und nicht wiedergekommen. Keiner weiß, wo er ist. Helfer berichten, Kindern würden Beruhigungsmittel und Psychopharmaka injiziert, um sie ruhigzustellen. Ebenfalls klar ist, dass ausrangierte Walmart-Filialen und ehemalige Kasernen nicht die richtigen Orte sind, um Kleinkinder wochenlang festzuhalten. »Wenn man die Geschichten, die nun ans Licht kommen, sehr wohlwollend interpretiert, erledigen der Grenzschutz und das Department of Health and Human Services ihre Arbeit erbärmlich schrecklich«, sagt Ryan von RAICES. »Wahrscheinlicher ist: Ob diese Familien wieder vereint werden, ist ihnen egal.«
Auch wenn sich inzwischen herausgestellt hat, dass Yanela, der Mädchen im pinkfarbenen Pullover, nach der Einreise gemeinsam mit ihrer Mutter Sandra Sanchez inhaftiert wurde, steht das Bild stellvertretend für das Trauma, das Kinder nicht nur durch die Gewalt in ihren Heimatländern, die oft lebensgefährliche Reise nach Amerika und die Behandlung als Kriminelle erfahren »Raices und die Organisationen, mit denen sie zusammen arbeiten, werden viel mehr brauchen als Geld für Kautionen«, sagt Charlotte Willner. »Sie werden mehr brauchen als einige Anwälte. Sie brauchen eine Legion an Anwälten, Psychologen, Fürsprechern und Ermittlern. Sie brauchen, dass Amerikaner ihre gewählten Vertreter jeden Tag anrufen. Und sie werden das alles für eine sehr lange Zeit brauchen.«
Es gibt ja wenig, was man sonst tun kann: In den meisten Städten und Staaten ist nicht einmal bekannt, wo wie viele Kinder unterbracht wurden. Man darf kein Spielzeug oder Essen abgeben. Besuche werden nur nach wochenlanger Voranmeldung genehmigt. Die Kinder dürfen nicht berührt, umarmt, getröstet werden.
Dass beide Willners früher für Facebook gearbeitet haben und mit sozialen Medien umgehen können, mag von Vorteil sein. Charlotte Willner arbeitet nun für Pinterest, ihr Mann für Airbnb. Aber der eigentliche Erfolg ihrer Aktion liegt darin, dass sie mehr als eine halbe Million Menschen wachrüttelten. Deshalb haben Charlotte und Dave Willner vor weiterzumachen. Als ich anfing, diesen Text zu schreiben, lag der Spendenstand bei knapp zwanzig Millionen Dollar, inzwischen sind es weit mehr. Und gerade haben die Willners das Ziel nochmal um fünf Millionen Dollar aufgestockt.