Quakspeise

Das ganze Heft voller Gemüse, und Sie denken noch immer an Fleisch? Dann haben buddhistische Mönche genau das Richtige für Sie erfunden: eine Ente aus Getreide.

Ja, es ist komisch, wenn man eine Dose mit dem Fleischimitat »Vegetarian Duck« aus dem Asialaden öffnet. Der Inhalt sieht tatsächlich aus wie große Stücke Entenfleisch und nicht wie in Form gepresstes Weizengluten. Aber genau darum handelt es sich, um eine Ente aus Getreide, die Struktur ist faserig wie echtes Fleisch. Sieht ein bisschen eklig aus. Aber das ist nur die eine Seite.

Denn erstens sieht auch ein rohes Stück Fleisch nicht gerade appetitlich aus. Und zweitens: Wenn das Entenimitat erst mal gebraten ist, schmeckt es verdammt gut, nicht genau wie Ente, aber auch nicht so folgenlos wie Tofu. »Vegetarian Duck« ist momentan der angesagteste Fleischersatz der Welt: rein pflanzlich, kräftiger Geschmack, viel Protein, kaum Fett. »Vegetarian Duck« hat eine Fanseite auf Facebook, der amerikanische Kochbuch-Hit Cooking for Geeks preist Gluten als das bessere Tofu. Warum dieses Tierimitat dabei so ungeheuer echt aussehen muss – dazu später mehr. Denn um die Geschichte der »Vegetarian Duck« zu erzählen, muss man in New York beginnen, um am Ende, nach einer Zwischenstation in Taiwan, in Bremen zu landen.

In der Upper West Side von New York gibt es ein kleines thailändisches Restaurant namens »Sookk«, 30 Sitzplätze, Lampen aus alten Vogelkäfigen, Buddhastatue. Abends und am Wochenende muss man lange anstehen, bevor man einen Platz bekommt. Und so gut wie jeder bestellt die Spezialität des Hauses, den Entenersatz aus Weizen. Wer einmal dort war, bringt beim nächsten Mal Freunde mit, um ihnen die Pad-See-Euw-Nudeln zu zeigen oder das Massaman-Curry mit Lotussamen, beides mit »Vegetarian Duck« statt mit echtem Fleisch.

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»Wir kochen seit 2008 mit Vegetarian Duck, und in den letzten Monaten ist die Nachfrage enorm gestiegen«, sagt Restaurantchefin Gift Karales, »New Yorker achten wieder mehr auf sich, wollen weniger Fleisch essen.« In Manhattan sind gemüselastige Riesensupermärkte wie »Whole Foods« am Union Square immer voll. »Es gibt hier hervorragendes Fleisch« sagt Karales, »es gehört zur asiatischen Küche dazu, und Restaurants wie das ›Momofuku‹ kochen ja immer noch sehr fleischlastig.« Und genau darum sei das »Sookk« so beliebt: Es serviert Essen, das aussieht wie Fleisch, aber eben kein Fleisch ist. Vegetarier sind im »Sookk« eher selten.

Damit könnte »Vegetarian Duck« als typische Zeitgeist-Erfindung durchgehen, pünktlich lanciert zum aktuellen Fleischverzicht-Hype. Aber dann spricht man mit Mei Shu Kee von der Firma Renxiang Enterprise aus Taiwan, einem Hersteller von Fleischimitaten: »Täuschend echten Fleischersatz aus Gluten gibt es mindestens seit dem zwölften Jahrhundert.« Buddhistische Mönche in China, überzeugte Vegetarier, hätten ihn erfunden. Ihr Ziel: Menschen dazu zu bringen, weniger Fleisch zu essen. Dafür musste die Fleischalternative so aussehen und so bissfest sein wie echtes Fleisch. Grundsätzliches hat sich an dem Rezept seither nicht geändert.

Zur Herstellung will Frau Kee trotzdem nichts verraten, weil der Markt momentan boomt und einige Firmen versuchen, ihr Fleischimitat zu imitieren. Nur so viel will sie sagen: Für ihre »Vegetarian Duck« entzieht man Weizenmehl die Stärke und vermischt es dann mit Wasser. Der daraus entstehende Teig wird mit Sojasauce, Sesamöl und Ingwer gewürzt, aufgekocht, in Öl mariniert, gepresst, geschnitten und haltbar gemacht. Die entenartige Struktur mit der marmorierten Haut, die beim Braten besonders knusprig wird, kommt durch das Pressen in einer selbst entwickelten Maschine zustande. In Taiwan hat Fleisch aus Getreide und Gemüse eine jahrhundertelange Tradition, neben der Ente aus Weizen gibt es auch Hühnchen aus Soja oder Lamm aus Shiitakepilzen.

Im Westen ist »Vegetarian Duck« seit dem späten 19. Jahrhundert ein Begriff. Die Zeitschrift Vegetarian Messenger berichtet von einem Bankett in Melbourne aus dem Jahr 1887, bei dem dieser Fleischersatz, sehr zum Rätsel der Gäste, auf der Karte stand. Ab den 1970er-Jahren entdeckten Hippies das vegetarische Fleisch in amerikanischen Städten mit vielen asiatischen Einwanderern. Deutschland brauchte etwas länger. Lo-Ping Tu betreibt einen Lebensmittelversand und das Restaurant »Vegefarm« in Bremen. Sie hat »Vegetarian Duck« Anfang der 1990er-Jahre in Taiwan schätzen gelernt, seit 2005 verkauft sie das Fleischimitat in Deutschland, tiefgefroren, was noch besser sein soll als die Dosen aus dem Asialaden.

»Die Ente ist sehr gut«, sagt die Vegetarierin. »Aber die beste Fleischkopie ist die vegetarische Abalone, da merkt man keinen Unterschied zwischen Imitat und Original.« Nur kaufen will die nachgemachte Abalone hier niemand. Das Original, eine Seeschnecke, ist den Leuten dann doch suspekt.

Illustration: Emily Robertson