Die Kunsthistorikerin Isabel Greschat leitet das Museum Brot und Kunst - Forum Welternährung in Ulm, das sich mit dem Einfluss von Brot und Nahrung auf unsere Kultur, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft befasst:
»Tatsächlich haben wir in Deutschland eine wohl unübertroffene Vielfalt an Brotsorten mit besonders vielen Mischbroten, die aus einer Mischung aus Weizen- und Roggenmehl bestehen. Die Antwort liegt in unserer Geschichte: Das, was wir heute als deutschen Nationalstaat kennen, war lange Zeit ein Konglomerat aus verschiedenen Fürstentümern. Jeder dieser Kleinstaaten hatte seine eigenen typischen Gebäcke, die zwar innerhalb der jeweiligen Landesgrenzen überschaubar waren – pro Fürstentum gab es in den Bäckereien womöglich nur drei Brotsorten. Später sind diese Traditionen jedoch zusammengekommen, unter anderem dank den wandernden Bäckergesellen, die Erlerntes aus anderen Regionen mitgebracht haben.
Zur regionalen Vielfalt haben die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen und Böden beigetragen: Weizen ist ein anspruchsvolles Getreide, das einen nährstoffreichen Boden und ein relativ mildes Klima und viel Sonne braucht – all das finden wir eher im Süden der Republik. Im Norden wurde dagegen traditionell Roggen angebaut, auch wenn Weizen inzwischen wegen der entwickelten Landwirtschaft auch im Norden gedeiht.
Die typisch deutsche Tradition des Abendbrotes hat sich erst Anfang des 20. Jahrhundert durch die Industrialisierung etabliert: Viele Arbeiter aßen mittags in Kantinen und nach dem langen Arbeitstag – der früher ja viel länger war als heute – war es praktisch, abends nicht aufwendig kochen zu müssen. Im Rahmen der Reformbewegungen hat Brot in Deutschland und den Nachbarländern eine besondere Wertschätzung erfahren: Das bereits in den 1920er und 1930er Jahren verbreitete Image des ›gesunden Vollkornbrots‹ wurde von der Umweltschutzbewegung aufgegriffen. In vielen Mythen und Religionen symbolisiert Brot die Menschwerdung: Der Mensch wird aus einer Art Teig geformt, dem Gott Leben einhaucht. An Brot und Nahrung lässt sich so vieles über unsere Gesellschaft ablesen. Zu sehen, wie aus ein paar Körnern und Wasser ein Brot entsteht, ist auch heute noch ein total spannender Transformationsprozess.«