Sind Austern noch lebendig, wenn man sie isst?

Zumindest ziehen sie sich zusammen, träufelt man Zitronensaft über sie. Warum das nichts zu sagen hat, erklärt ein Experte.

Illustration: Ryan Gillet

Christoffer Bohlig leitet die einzige Austernfarm in Deutschland. Auf Sylt verkauft er jedes Jahr etwa 600.000 Muscheln. Circa ein Drittel davon im angegliederten Restaurant:

»Sobald eine Auster geknackt wird, ist sie nicht mehr in der Lage, zu überleben – selbst, wenn sie wieder ins Meer zurückgesetzt werden würde. Das liegt daran, dass beim Öffnen der Muschel der Adduktormuskel beschädigt wird, der die Schalen fest verschlossen hält. Das Öffnen und Schließen ihres Panzers schützt die Auster vor Feinden oder dem Austrocknen. Der Organismus einer frisch geöffneten Auster ist lebendig. Doch ebenso wie andere Weichtiere besitzt die Muschel kein zentrales Nervensystem. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Meinungen, doch die Mehrheit der Forscher sind sich sicher, dass Austern keinen Schmerz empfinden können, wie es bei Menschen oder Tieren mit Gehirn und einem Rückenmark ausgeprägt ist. Sie besitzen kein Bewusstsein, das Empfindungen verarbeitet, sondern Rezeptoren, die auf Reize reagieren. Etwa wenn sich die Temperatur ändert, sie mit dem Finger berührt oder mit Zitronensaft beträufelt werden – der Organismus ist lebendig und zuckt. Das ist eine muskelbasierte Reaktion. Die Auster reagiert auf den chemischen Reiz, nicht weil sie Schmerzen hat. Das Zucken ist vielmehr ein Frischezeichen.

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Ist sie einmal geschält, also geöffnet, sollte eine Auster schnell verzehrt werden. Besonders gut schmeckt sie frisch und ungekocht.   Das Konsumieren von Austern wird oft Schlürfen genannt. Das klingt meiner Meinung nach so, als würde man sie sofort mit einem Schluck Champagner oder Weißwein runterspülen. Ich rate jedoch die Auster mindestens zehn Mal zu kauen, bevor Sie sie hinunterschlucken. Erst dann entwickeln sich die ganzen Aromen. Manche schmecken nussig, leicht süßlich. Das gallertartige Fleisch gleitet zunächst mitsamt dem Salzwasser aus der Schale in den Mund. Es schmeckt erst salzig. Wer nun gleich schluckt, der könnte auch einen Schluck Meerwasser trinken. Je bedächtiger und länger eine Auster jedoch gekaut wird, desto intensiver wird der Geschmack von Salz und Meer. Beim Austernessen stellt sich der Genuss erst nach und nach ein. Ich sage immer: Zu einem Austernesser wird man. Denn erst, wenn man schon ein paar Mal gegessen hat, entwickelt sich die Freude an ihrem Geschmack.«