Intime Ansichten

Ein Leser fragt sich, ob er es seinem Nachbarn verraten soll, das man diesen durch sein Badfenster beobachten kann – bei den privatesten Geschäften? Unsere Kolumnistin meint: Bitte nicht.

Illustration: Serge Bloch

»Von unserer Wohnung aus sehen wir in die Toilette im Nachbarhaus, deren Milchglasfenster nicht voll funktionsfähig ist. So wissen wir, dass unser Nachbar sich nach getaner Arbeit erhebt, um sein Werk zu begutachten. Die darauffolgende Säuberungsaktion hat ihm den Namen eingebracht: ›Der, der im Stehen wischt‹. Sollen wir ihn, anonym, auf die Durchsichtigkeit seines Fensters hin­weisen, oder wäre es besser, ihn vor dieser peinlichen Enthüllung zu bewahren, aber weiter ungewollten Blicken ausgesetzt zu lassen?« Bernhard K., Bad Reichenhall

Ich hoffe, Sie sitzen: Es gibt gute Gründe dafür, sich das, was man in einer Toilette hinterlassen hat, anschließend anzusehen. So können Konsistenz und Farbgebung Hinweise auf mögliche Gesundheitsprobleme geben. Bei ­einem Grauton etwa sollte man zum Arzt, möglicherweise ist die Verbindung von Leber zu Darm abgeknickt. Einen dunklen Rotton sollte man idealerweise auch nicht entdecken, es sei denn, es gab am Vortag Rote Bete. Von der Form her sollte das Ganze im Bestfall an eine Wurst oder Schlange erinnern und ist glatt und weich, wie Zahnpasta. All dies entnehme ich ­übrigens Giulia Enders’ wundervollem Nachschlagewerk über die Verdauung, Darm mit Charme, in dem ich unter anderem auch gelernt habe, dass zwei Kilo ­unseres Körpergewichts Bakterien sind, das aber nur nebenbei.

Ganz offensichtlich hat Ihr Nachbar einen Flachspüler. So nennt man das Toilettenmodell, bei dem sich in der Schüssel ­unterm Gesäß eine Stufe befindet, die vor dem Spülen als Ablage dient. Das hat medizinische Gründe: So sind Stuhl­proben leichter zu entnehmen. Dieses ­Modell ist in Deutschland, Österreich, Dänemark und den Niederlanden gebräuchlich. ­Andere Nationen müssen sich von ihrem Werk verabschieden, ohne sich noch mal umzudrehen. Plumps, und es ist weg.

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Übrigens ist Ihr Nachbar nicht der einzige Mensch auf der Welt, der sich im Stehen säubert. Liest man sich im Internet zum Thema Wischtechniken ein, scheint Sitzen aber die gängigere und auch praktischere Methode zu sein. Und natürlich die gemütlichere.

Ich möchte Sie bitten, Ihren Nachbarn vor der Peinlichkeit zu bewahren, die es ihm bereiten würde, wüsste er, schon oft bei dieser intimen Angelegenheit beobachtet worden zu sein. Was soll er denn dann tun? Umziehen?

Konzentrieren Sie sich auf sich: Der Reiz des Abputzens wird sich abnutzen, irgendwann schielen Sie nicht mehr hin.