»In einem italienischen Restaurant war ein Tisch am Fenster frei, durch das die Sonne hereinschien, und ich setzte mich dorthin. Nach einiger Zeit sprach mich ein Mann an, ob ich mich nicht an einen Zweiertisch setzen könne, da sie zu viert seien und kein Vierertisch mehr frei sei. Ich wechselte widerwillig den Platz. Der junge Mann fragte mich dann, ob das okay für mich sei. Ich antwortete: Sie sehen ja, dass ich nicht gerade begeistert bin. Daraufhin meinte er: Dann halt nicht. So ging ich wieder auf meinen alten Platz zurück, wo ich dann allerdings mit einem schlechten Gewissen zu kämpfen hatte. Ich bin unsicher, ob ich mich richtig verhalten habe.« Torsten G., Kassel
Kennen Sie den Podcast von Jasna Fritzi Bauer und Benjamin von Stuckrad-Barre? Er heißt Ja Ja, Nee Nee, und die beiden reden darin über alles, so lässt es sich wohl am besten zusammenfassen. Neulich ging es zum Beispiel ums Zugfahren, und da hat Benjamin von Stuckrad-Barre eine Beobachtung erzählt, die offenbar Hans Magnus Enzensberger mal beschrieben hat: dass man, wenn man ein Zugabteil für sich alleine hat, den Ersten, der hinzukommt und einem die Privatheit nimmt, als Gegner empfindet. Kommt dann ein weiterer Fahrgast hinzu, fühlt man mit dem Ersten plötzlich eine Verbundenheit, nun ist der neu hinzugekommene Dritte der gemeinsame Gegner, möglicherweise wird sogar ein Blick getauscht. Und so geht es immer weiter, bis das Abteil eben voll ist und alle gemeinsam den Letzten hassen oder man aussteigen muss oder keine Ahnung, wie diese Geschichte im Speziellen weiterging, sie wurde dann irgendwie unterbrochen, aber wir haben sie ja alle schon erlebt. (Meistens packt irgendwann jemand einen Apfel aus, und dann hassen alle den, weil man das Geräusch von Apfelkauen, dieses herzhafte Krachen, gefolgt von Schmatzen, von Fremden nicht erträgt).
Daran musste ich bei Ihrer Frage denken, denn in Ihrer Situation waren wir natürlich auch schon alle. Sind wir ständig. Da wir den Planeten nicht alleine bewohnen, sondern ihn mit wahnsinnig vielen anderen Menschen teilen, ist es ein permanenter sozialer Tanz, den wir alle mehr oder weniger gekonnt aufführen, in dem es darum geht, die eigenen Interessen mit denen anderer auszutarieren. In Ihrem Fall würde ich denken, dass Sie sich selbst mit Ihrem Beharren auf dem schöneren Tisch keinen Gefallen getan haben. Nicht generell, ich finde, man darf auch mal egoistisch sein, aber dass Sie immer noch darüber nachdenken, gibt Ihnen Ihre Antwort.