Gewissens-Bissen

Beim feierlichen Abendessen serviert eine Bekannte Gänsestopfleber. Muss man die Speise aus Höflichkeit essen, auch wenn man die Art, wie sie hergestellt wird, für Tierquälerei hält?

Illustration: Serge Bloch

»Kürzlich waren meine Frau und ich im kleinen Kreis zum Essen eingeladen. Die Gastgeberin hatte sich viel Mühe ­gegeben. Als Vorspeise gab es Gänsestopfleber. Ich halte­ die Art der Erzeugung dieser Speise für inakzeptabel. Hätte ich sie aber nicht gegessen, hätte ich das erklären müssen. Ich wollte niemandem ein schlechtes Gewissen machen, deshalb habe ich die Stopfleber schweigend gegessen. Ich bin aber unsicher, ob das die richtige Entscheidung war.« Christoph H., Tegernsee

Es spricht für Ihre Sensibilität und Ihren Takt, dass Sie sich so verhalten haben, wie Sie sich verhalten haben, aber sollten Sie noch mal im Leben in die gleiche Situation kommen: Essen Sie die Stopfleber nicht. Man kann einfach sagen, dass man Stopfleber nicht mag. Ohne große Erklärung, jeder mag irgendetwas nicht. Eine Freundin von mir isst keine Leber. Nicht aus moralischen Gründen, sie isst gern Fleisch und fände es moralisch geboten, auch die Innereien eines getöteten Tieres zu essen, nicht nur die Sonntagsstücke aus Hüfte oder ­Rücken, aber sie findet die Konsistenz ­eklig. Dieses Gummiartige, das einen, selbst wenn man Leber mag, an lange getragene Einlegesohlen erinnern kann. Eine andere Freundin verzichtet aus Geschmacksgründen auf Gurken wie überhaupt auf so gut wie jedes Gemüse, außer Mais, den sie aber nur in gepuffter Form zu sich nimmt, also als Popcorn. Diese Freundin ist erst vier Jahre alt, mag sein, dass sich ihr Geschmack noch verändert. Ich esse abends keinen Salat. Ich mag ihn, vertrage ihn aber abends nicht. Bei einer Einladung würde ich einfach nur sagen: »Für mich bitte keinen Salat«, alles Wei­tere hielte ich für zu viel Information. (Einschub: Wenn man überhaupt irgendetwas von mir lernen kann, dann dies – in puncto Verdauung ist ein Salat nicht leicht. Nicht jeder Magen verträgt abends Rohkost.)

Ich stimme Ihnen zu, dass man bei einer Essenseinladung niemandem erzie­herische Vorträge hält. Aber ich würde ­meinen, dass eine Gastgeberin, die 2019 ­Gänsestopfleber auftischt, wo die Brutalität der Herstellung ja sogar im Namen benannt ist, wissentlich in Kauf nimmt, dass nicht alle Gäste das essen. Ich glaube also, Sie haben sich, was ja nur nett ist, zu viele Gedanken gemacht. Hoffentlich hat Ihnen die höflich geschluckte Foie gras wenigstens geschmeckt.