Darf ich einen fremden Mann auf seine Vaterrolle hinweisen?

Unsere Leserin beobachtet auf dem Spielplatz einen Vater, der sich lieber mit dem Handy als mit seiner Tochter beschäftigt. Sollte man ihn darauf ansprechen? Unsere Kolumnistin ist skeptisch.

Illustration: Serge Bloch

»Neulich auf einem Spielplatz beobachtete ich ein kleines Mädchen, das geduldig darauf wartete, dass sein Papa ihm half, eine Sprosse zu erklimmen. Aber er beachtete sein Kind nicht, sondern stand einfach daneben und schaute unablässig auf
sein Smartphone. Mir kam der Gedanke, den Vater darauf auf- merksam zu machen – aber ich wollte es nicht. Endlich widmete sich der Papa seinem Kind, half ihm, eine Sprosse an dem Klet- tergerüst zu erklimmen – und das war’s! Das Kind wurde in den Kinderwagen gesetzt, und der Vater schob den Wagen unter weinendem Protest der Kleinen davon. Es tat mir leid, dass ich mich nicht eingemischt habe. Wäre es übergriffig von mir gewesen, dem Vater klarzumachen, dass sein Kind ihn braucht?«  Melanie E., Riemerling

Das Mädchen kann einem natürlich total leidtun. Sieht man ja dauernd: Kinder, die einsam in ihrem Kinderwagen sitzen, während das schiebende Elternteil aufs Handy starrt. Oder Familien mit etwas älteren Kindern, die im Restaurant schweigend am Tisch sitzen und alle jeweils auf ihr Display schauen. Die Psychotherapeutin Esther Perel spricht in diesem Zusammenhang von »Ambiguous Loss«, uneindeutigem Verlust. Man ist zusammen, ist aber doch einsam, weil das Handydisplay den anderen oder gleich alle verschlingt. Das tut mir ja sogar bei Hunden leid. Wenn die mutterseelenallein an der Leine gehen, das langsame Tempo nicht völlig verstehend, was daran liegt, dass am anderen Ende der Leine der Mensch ab­wesend auf sein Handy sieht. 

Es kann allerdings sein, dass die Situation, die Sie beobachtet haben, anders war. Vielleicht war gerade die Mutter dieses Mannes gestorben, und er hatte es eben erst erfahren und versuchte nun, sich möglichst schnell einen Zug in sein Heimatdorf zu buchen und gleichzeitig irgendwie für Kinderbetreuung zu sorgen. Oder das kleine Mädchen war ein absolutes Terrorkind, das an diesem Morgen bereits die Wellensittiche ertränkt und ihr frisch geborenes Geschwisterchen auf den Kopf geschlagen hatte, sodass der Liebesentzug des Vaters nun Teil eines gründlich mit Pädagogen besprochenen Erziehungsprogramms war. Oder er suchte gerade online nach Stellen, wo man Kinder zur Adoption anbieten konnte, um sein Mütchen zu kühlen. Was wissen denn wir?! Jedenfalls, finde ich, sollte man Eltern nicht reinreden, solange die nichts richtig Schlimmes machen, ihr Kind schlagen zum Beispiel. Vielleicht hätten Sie dem Mädchen in dieser Situation kurz helfen können. Aber auch daraus kann man keine Regel machen. Sie sind nicht eingeschritten, es wird in dem Moment seine Richtigkeit gehabt haben, nun lassen Sie es los.