»Kannst dich herstellen zu mir« als Liebeserklärung

Von den anderen Eseln bekam der talentierte Esel Jimmy Schläge, erzählt die Eselfarm-Betreiberin Anahid Klotz. Dann lernte Jimmy Lena kennen, seitdem sind beide unzertrennlich. Die neue Tierkolumne handelt von Nähe, Nichtstun und der hohen Kunst des Abwartens.

Jimmy (vorne) und Lena auf dem Gelände der Eselfarm »Asinella« in Pähl am Ammersee. Anahid Klotz betreibt den Hof seit über 15 Jahren und hat die eigenwilligen Tiere im Zuge dessen immer wieder genau beobachtet und gut kennengelernt.

Foto: Anahid Klotz

Jimmy war der neunte Esel auf meiner Farm. Er kam da unten zum Tor rein – und sein Auftritt kam zuerst gar nicht gut an in der Herde. Jimmy ist ein Extrovertierter. Der kam von einer Filmtierschule. War – ist immer noch! – sehr begabt, wenn es darum geht, eine Rolle zu lernen. Er kann Reißverschlüsse aufmachen, Türklinken runterdrücken ... Und natürlich war er – so als Supertalent – bis dahin sehr verwöhnt worden. Die anderen Esel hier haben ihm erst mal der Reihe nach Schläge verpasst. Er musste immer wieder rennen, weil die anderen hinter ihm her waren. Das ging über Stunden. Er hat aber auch nicht nachgegeben; sondern hat auch selber immer wieder losgeschlagen. Ein Gekeile war das hier!

Oh, dachte ich, der Jimmy; das wird schwierig mit dem! Wenn ein neuer Esel in eine bestehende Herde kommt, gibt’s ja oft Aufregung. Aber er hat schon besonders was abgekriegt. Am Schluss war er ganz erschöpft. Auf einmal sieht er die Lena hier auf dem Sandplatz. Sie ist ein bisschen größer als er. Aber Jimmy, forsch wie er ist, geht einfach zu ihr hin – und Lena macht erst mal nichts. Gar nichts. Dabei ist sie eine, die auch sehr rausgeben kann. Sie ist zwar vom Wesen her eher ängstlich, aber wenn sie einen nicht mag – die zwickt und schlägt! Und bei ihm hat sie das nicht gemacht. Sie ist einfach nur stehengeblieben. Und er war natürlich heilfroh, dass er mal irgendwo Pause machen kann. Und seitdem liebt Jimmy Lena.

Esel haben ja grundsätzlich so eine Art Klugheit des Abwartens. Und des Nichtstuns. Wir haben hier zum Beispiel eine neue Wippe. Da muss ich extrem geduldig sein. Ein Esel – je nachdem, wie er vorgeschult ist – braucht für die Wippe, wenn sie für ihn ganz neu ist, schon so um die zehn Minuten. Aber wenn ich ihn beim nächsten Mal drüber bitte, kann’s sein, dass er eine Viertelstunde braucht. Weil er sich sagt: »Also, das war mir beim ersten Mal zu wacklig. Ich lass mir jetzt noch mehr Zeit.« Und das ist das Schwierige; dass ich, wenn ich mit dem Esel trainiere, auf so was eingehe; dass ich nicht beim zweiten Versuch sage: »Mann! Es ging doch schon beim ersten Mal! Wo ist denn jetzt das Problem?« Denn dann schaltet er auf stur und macht erst recht nicht mehr mit.

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Auch wenn man ihn ruft. Ein Esel lässt sich manchmal wahnsinnig viel Zeit. Aber er vergisst nicht, dass man ihn gerufen hat. Teilweise kommt er dann nach zwanzig Minuten daher. Das ist ganz verrückt: Erst wenn man als Mensch nicht mehr an etwas denkt – auch zum Beispiel bei irgendwelchen Aufgaben, die man stellt –, dann sagt der Esel: »Okay, jetzt hab ich meine Ruhe, jetzt kann ich in Ruuuuhe überlegen, jetzt mach ich’s.« Esel haben ein ganz anderes Tempo, und vermutlich auch ein ganz anderes Zeitgefühl. Manchmal denke ich: Das müsste ich jetzt filmen; und dann müsste ich es beschleunigt abspielen, damit ein Laie überhaupt sieht, was da passiert.

Dabei ist die Körpersprache eigentlich immer ganz klar. Auch wenn sie teilweise nur darin besteht, etwas nicht zu machen. Lena hat damals bei Jimmy kein Abwehrverhalten gezeigt. Sie hat sich nicht weggedreht und nach ihm geschlagen, so wie die anderen. Sie hat nicht nach ihm gebissen. Sie stand einfach gelassen da – und hat ihm dadurch signalisiert: »Kannst dich herstellen zu mir.« Sie hat ihn durch Nichtstun eingeladen.

Mich erinnert dieses Verhalten bei Eseln – die sich ja überhaupt gern zu zweit zusammentun – oft an uralte Bauernehepaare. Die sind früher halt schweigend auf ihrer Bank vorm Haus gesessen und haben einfach nur geschaut. Aber die haben die Vögel fliegen sehen. Die haben die Wolken beobachtet. Die haben eine Ahnung gehabt, wie das Wetter wird. Aber sie haben nicht viel geredet. Oder was getan.

Jimmy und Lena sind inzwischen so richtig unzertrennlich. Die Lena steht oft nur da, hat ein Ohr zum Jimmy hin gerichtet – und fühlt sich einfach nur wohl. Das ist sicher oft auch nur meine Interpretation. Ich kann’s ja immer nur aus Menschensicht betrachten. Aber die Lieblingssituation von einem Esel ist Bequemlichkeit. Nichtstun. Ich frage gerne mal Kinder, oder auch Erwachsene, bei den Wanderungen, die ich mit ihnen mache: »Was glaubt ihr, ist so das Schönste für einen Esel?« »Karotten?« »Bürsten?« Nein, es ist Nichtstun. Pause machen.

Und das macht auch derart Spaß, das hier alles zu beobachten. Ich hab lang gebraucht, um das überhaupt zu können. Dass ich einfach nur schau. Oder dass ich geduldig bin mit dem Esel, in einer Situation, wenn ich schon ewig dasteh mit meiner Karotte und er mir quasi sagt: »Ach ja, wirst schon warten damit. Und wenn nicht, dann halt nicht.«