Das ist sehr lange her. Das war 1996. Da hab ich, zusammen mit einer anderen deutschen Doktorandin, für ein gutes Jahr in einem kleinen chilenischen Fischer- und Badeort gewohnt, in der Nähe von Concepción, wo auch eine kleine meeresbiologische Station ist. Und weil wir mitten unter den Fischern gelebt haben, kannten die uns natürlich alle und brachten eines Tages einen jungen Pinguin vorbei, der am Bauch einen Ölfleck hatte und vollkommen entkräftet war.
Wir Menschen bemerken Ölteppiche im Meer ja meist nur, wenn sie entsprechend groß sind. Aber dass Schiffe mal ein bisschen Öl verlieren oder es auch absichtlich ablassen, das passiert dauernd. Das ist für die Vögel ein großes Problem, denn sie pflegen ihr Gefieder sehr. Sobald sie dreckig sind, fangen sie an, sich zu putzen. Das ist ein ganz tiefer Instinkt bei denen. Und dadurch fressen sie quasi dieses Öl – das sich anschließend um die Magenwände legt, sodass sie verhungern.
Bei Alexander – so nannte ich den Pinguin, weil er wahrscheinlich ein Humboldtpinguin war; genau konnte ich das nicht sagen, weil er noch nicht ausgefärbt war – war das eigentlich nur ein kleiner Fleck. Aber das reichte. Er war ganz abgemagert. Du konntest die Rippen fühlen. Und er konnte gar nicht mehr stehen. Er lag nur noch. Noch dazu war er erkältet. Hat immerzu geniest. Weil er eben seine Fettschicht verloren hatte, die die Pinguine schützt.
Ich hab dann erst mal das Öl von ihm entfernt. Hab das mit Spülmittel, aber auch mit ein bisschen Lösungsmittel, vorsichtig rausgewaschen. Und dabei hat er mir wirklich schlimm in die Arme gehackt. Pinguine haben eine ganz fiese Spitze vorne am Schnabel. Damit ziehen sie so richtig durch. Die sind ausgesprochen wehrhaft. Das würde man nicht denken. Ich hatte richtig ein paar Narben ne Zeit lang. Was natürlich auch eigene Doofheit war. Ich hätte mich ja besser schützen können. Aber ich war halt überfordert mit der Situation.
Alexander ist schon am Tag, nachdem ich ihn aufgenommen hab, ganz zahm geworden. Er hat sofort verstanden, dass ich ihm nichts Böses will. Er hat auch gleich Futter angenommen. Aus der Hand.
Deswegen hab ich den Direktor vom »Zoo am Meer« in Bremerhaven angerufen, was damals noch ein ziemlicher Aufwand war und teuer. Den kannte ich, weil ich ihm mal eine Schlange vermacht hatte, und wusste von daher, dass er sowohl Pinguine hatte als auch nach dem Ölunglück von den Shettland-Inseln ein paar Jahre zuvor ganz viele Basstölpel aufgenommen hatte und sich von daher mit ölverschmierten Vögeln auskannte – und mit Pinguinen. Der konnte mir dann zum Glück ein paar Hinweise geben, was ich machen soll. Vor allem, dass ich dem Pinguin Maiskeimöl geben soll – das ist sozusagen wie Rizinusöl, also Abführmittel –, damit das Erdöl wieder rausgespült wird. Und er sagte mir auch, welches Gewicht der Pinguin haben muss, bevor ich ihn wieder aussetzen darf.
Ich bin dann, auf seinen Rat hin, zum Tierarzt in die nächstgrößere Stadt gefahren, der dem Pinguin gleich mal Vitaminspritzen verpasst hat. Und was ich da wirklich rührend fand: Der Tierarzt, der bestimmt nicht viel verdient hat, hat es abgelehnt, von mir Geld für die Behandlung zu nehmen. Er sagte, das sei ja ein Wildtier, und dafür müsse ich doch nicht bezahlen.
Und was vielleicht auch noch schön ist zu erwähnen: Unser Status im Dorf hat sich dadurch, dass wir diesen Pinguin aufgenommen haben, total geändert. Die Lateinamerikaner halten uns Europäer ja gern für egoistisch. Und nun taten wir etwas, was eindeutig nicht unserem eigenen Vorteil diente. Seitdem waren wir sehr viel beliebter.
Der Tierarzt hat mir dann auch noch Spritzen mitgegeben, damit ich den Pinguin spritzen kann; vorne in den Brustmuskel rein. Und schließlich hab ich von ihm noch den Trick gelernt, ein bisschen Klebeband an die Spitze vom Schnabel zu machen; damit der Pinguin den Schnabel nicht mehr aufkriegt und mich nicht hackt.
Obwohl ich sagen muss: Alexander ist schon am Tag, nachdem ich ihn aufgenommen hab, ganz zahm geworden. Er hat sofort verstanden, dass ich ihm nichts Böses will. Er hat auch gleich Futter angenommen. Aus der Hand. Der war natürlich heilfroh, dass er überhaupt was zu essen hatte. Ich hab ihm von vornherein immer einzelne Fische gegeben, die durften nur nicht zu groß sein. Deswegen haben mich die Fischer die ganze Zeit kostenlos mit Fischen versorgt. Mit Sardinen hauptsächlich. Die hab ich in Portionen eingefroren. Und dann hat er so zwei, drei Beutel davon pro Tag gegessen. Was manchmal ein bisschen eklig war, denn wenn du Sardinen wieder auftaust, halten die nicht mehr so gut zusammen. Und der Pinguin hat, wenn er satt war, die letzte Sardine oft in den Schnabel genommen und dann den Kopf geschüttelt. Sodass ich überall Sardinenteile hatte. Ich hab monatelang nach Sardinen gerochen. Seitdem esse ich keine Sardinen mehr.
Was auch nicht schön war: Weil er nach wie vor nicht stehen, sondern nur kriechen und liegen konnte, hat er nachts in einer Fotoschale gelegen. Das reichte schon, um ihn unter Kontrolle zu haben. Ich hab die natürlich ausgepolstert, mit Papier und so. Aber er hat sich immer wieder das Gefieder eingesaut, mit dem Öl und der Kacke, die hinten rauskam. Ich musste ihn täglich baden, um das wieder rauszukriegen. Und hinterher einpudern mit Babypuder, damit er schneller trocken wird. Und föhnen und alles.
Aber ich glaube, dass es ihn im Endeffekt auch gerettet hat, dass er nicht alleine war. Der brauchte die Nähe ganz stark. Pinguine sind ja ungeheuer soziale Tiere. Und sehr, sehr intelligent. Ich hab mehrere Vögel großgezogen; und das war mit das Intelligenteste, was ich an Vogel erlebt hab. Sobald er ein bisschen mobiler war, ist er immer auf meine Füße gekrochen und hat sich da draufgelegt, wenn ich mikroskopiert habe; und hat auch die ganze Zeit mit mir interagiert; hat sich mit mir unterhalten. Ich musste natürlich lernen, seine Laute nachzuahmen. Aber offenbar hat er meinen harten Akzent hingenommen. Er hat schon verstanden, dass ich ihn meine.
Und er war ungeheuer neugierig. Was ja auch ein Zeichen von Intelligenz ist. Pinguine sind sehr, sehr mutig. Bis hin zu – verrückt. Draufgänger. Absolute Draufgänger. Die nehmen das in Kauf, dass sie stürzen, dass sie purzeln ... Das ist denen vollkommen egal. Alexander hat später wirklich alles erkundet, ist überall hochgeklettert, ist runtergefallen, hat sich irgendwie durchgearbeitet, hat ständig gesucht: Was findet er noch Interessantes? Und wenn er mich nicht mehr sehen konnte, hat er mich gerufen. Erst leise – wie alle Vögel das eigentlich machen – und dann immer lauter. Aber nicht hilflos. Eher anlehnungsbedürftig. Und wenn ich geantwortet hab, ist er schnell angelaufen gekommen.
Aber das Witzigste war ja, – kannst du dir das vorstellen? – ein erkälteter Pinguin, der immer niest? Man glaubt es kaum, wie niedlich so ein kleiner Vogel im Frack ist, wenn man mit ihm interagiert; wenn er mit ausgebreiteten Armen auf einen zugelaufen kommt und dann auch noch »Tschi!« macht. »Tschi. Tschi!«
Wegen seiner Erkältung hab ich ihn den Winter über bei mir im Labor gehalten – auch nachts, weil da wenigstens eine Heizung war. Im Rest des Gebäudes gab’s gar keine. Und bei uns zu Hause auch nicht. Außerdem konnte ich ihn da wirklich nicht mitnehmen. Das muss man sich auch klarmachen. Was die alles reinfressen, kommt ja hinten wieder raus. Und das riecht immer noch nach Fisch. Deswegen war’s schon sehr lieb von unseren Hausmeistern, dass sie toleriert haben, dass ich ihn nachts im Labor lasse. Das war allerdings ein ziemlich runtergekommener Laborraum. Und ich habe immer gründlich saubermachen müssen. Daher hab ich, als Alexander wieder bei Kräften war, auch versucht, ihn nachts auf einer Seite vom Labor einzusperren. Damit ich am nächsten Morgen nicht das ganze Labor wischen muss, sondern nur die Hälfte. Ich hab da Bretter davor gemacht und Kisten hingestellt und so weiter. Aber es wurde zunehmend schwieriger, ihn damit aufzuhalten. Der hat – mit wachsender Mobilität – immer irgendwie ein Schlupfloch gefunden und ist dann in der Station rumgelaufen. Ich hab gesagt: »Wenn der Vogel auch noch fliegen könnte, könnte ich ihn gar nicht mehr einsperren. Da hätte ich keine Chance.« Ein richtiger Ausbrecherkönig war das.
Irgendwann ist er auch mal ins Wasser. Ich dachte natürlich, er ist weg. Aber er ist wieder zurückgekommen.
Aber dass er jetzt versucht hätte, raus und ins Meer zurückzugehen, das – eigentlich gar nicht. Als er wieder richtig stark war und laufen konnte, hab ich mit ihm täglich Spaziergänge gemacht. Draußen am Strand. Die Station war ja direkt am Strand. Ich hatte am Anfang nur Angst vor den vielen streunenden Hunden, die es da gibt. Aber die legen sich nicht mit Pinguinen an, wie sich rausgestellt hat. Weil Pinguine so fies sind – die lassen die Hunde, sogar große, erst ganz nah ran und dann hacken sie ihnen in die Nase. Das haben die alle gelernt.
Aber wirklich abgehauen ist er auch hier nicht. Hätte er ja jederzeit tun können. Wenn er zu direkt aufs Meer zugestrebt ist, hab ich ihn zurückgerufen. Das hat gereicht. Es war dann zwar schon Sommer, aber ich wollte ihn lieber noch weiter hochpäppeln, damit er noch etwas dicker wird. Denn je dicker er war, desto geringer war die Gefahr, dass er im Wasser auskühlt. Es hat überhaupt erstaunlich lange gedauert, bis er sich vollkommen erholt hatte. Was mir noch mal die Grausamkeit von diesen Ölteppichen klargemacht hat.
Aber irgendwann war’s dann endlich warm genug – und er war schon wieder so dick, dass er nicht mehr in einem geheizten Raum bleiben musste. Die Hausmeister haben mir dann hinten im Aquarienbereich ein Ställchen für ihn gebaut. Das hatte den Vorteil, dass da alles gefliest war und man das einfach mit dem Schlauch abspritzen konnte. Dann hab ich ihn eben immer von dort abgeholt und bin mit ihm spazieren gegangen. Und irgendwann ist er auch mal ins Wasser. Ich dachte natürlich, er ist weg. Aber er ist wieder zurückgekommen. Das hat sich noch ein paar Mal wiederholt. Im Lauf der Zeit ist er immer länger schwimmen gegangen. Was ja genau das war, was ich wollte. Ich wollte ihn ja nicht als Haustier behalten, sondern ihm ermöglichen, dass er sich nach und nach wieder unabhängig macht.
Und eines Tages ist er halt gar nicht mehr zurückgekommen. Er hat mich allerdings noch mal besucht – ein paar Wochen später. Da stand er dann zwar nicht an der Tür und hat auf mich gewartet; aber er hat sich am Strand rumgetrieben – ist sicherlich gezielt wieder in unsere Bucht gekommen und hat gekuckt –, hat mich auch erkannt, ist auf mich zugelaufen ... Ich konnte ihn sogar anfassen, kraulen – was du mit einem fremden Pinguin lieber nicht machen solltest; aber danach ist er halt wieder los. Das ist so bei Vögeln. Das machen sie mit ihren Eltern genauso. Und ich denke auch, er ist gut klargekommen. Er war alt genug, dass er fischen konnte; jagen konnte ... Ob er jetzt Glück hatte im Leben oder gleich in den nächsten Ölfleck geraten ist oder an der nächsten Ecke ein Orca daherkam, das kann ich natürlich nicht sagen ...
Aber ich hatte erst vor Kurzem – also mehr als zwanzig Jahre später – ein witziges Erlebnis vor Namibia. Da lagen wir gerade mit der Meteor, unserem Forschungsschiff, »auf Station«. Das bedeutet, dass man eine Koordinate im Meer hat, wo man das Schiff anhält, um Proben nehmen zu können. Da stand ich hinten am Heck und hab im Wasser eine Gruppe von Pinguinen gesehen. Und zwar auch wieder junge. Und die kamen näher ran. Dann hab ich die gerufen – und die haben geantwortet. Und waren ganz aufgeregt. Haben immer gekuckt. Weil sie überhaupt nicht damit gerechnet haben, dass von so einem Schiff ein Pinguinruf kommt. Ich habe mich bestimmt eine halbe Stunde mit denen unterhalten. Ich meine, die haben bestimmt gemerkt, dass da kein anderer Pinguin ruft; die fanden das nur interessant, dass ich solche Geräusche von mir gebe. Aber ich habe meine Antwort ein bisschen korrigiert – weil die natürlich auch anders klangen; habe versucht, das besser nachzumachen – und dann ging das. Aber ich hatte ja auch genügend Vorerfahrung. Schließlich habe ich fast ein halbes Jahr mit einem Pinguin zusammengelebt, tagsüber.