Uli Kunz ist Meeresbiologe, Forschungstaucher und Fotograf. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, alles über seine Aktivitäten erfährt man auf seiner Webseite uli-kunz.com. In der Regel ist er eher in kalten Gewässern unterwegs, hier erzählt er von einer einprägsamen Begegnung im Roten Meer.
Das war bei einem Tauchgang am Roten Meer – tatsächlich auf einer meiner wenigen Tauchreisen, die ich mal ins Warme gemacht hab; und zwar nicht als Forschungstaucher, sondern im Rahmen einer touristischen Fahrt auf einem Tauchschiff. Und zwar tauchten wir da an einem der vielen Korallenriffe. Das Rote Meer ist ja noch sehr artenreich und auch sehr gesund, gerade was die Korallenriffe angeht. Da bist du sofort in einer ganz anderen, faszinierenden, farbigen Welt. Du siehst Nemos – diese kleinen Clownfische – und Papageienfische und große Drückerfische, die ganz dicht um dich herumschwimmen. Und deswegen ist man so ein bisschen diese Vielfalt, dieses Übermaß gewohnt, wenn man im Riff unterwegs ist. Sehr viele Tiere wenden sich dir sofort zu; weil du natürlich auch ein großer Räuber sein könntest.
Aber die Tiere draußen im offenen Meer – wenn man sich dann umdreht, vom Korallenriff weg und einfach nur ins Blaue schaut –, die leben ein ganz anderes Leben. Und da kam eben mal ein Großer Barrakuda. Der war erst so dreißig Meter weit weg, also ziemlich weit entfernt – im Roten Meer hast du ja wahnsinnige Sichtweiten –, und ich hab schon gemerkt: Das ist ein ziemlich großes Tier. Große Barrakudas werden durchaus so eineinhalb Meter lang; das sind richtig massive, große Burschen.
Und dann bin ich einfach mal mit meiner Kamera vom Korallenriff weggeschwommen; auf diesen Barrakuda zu. Das sind oft die Momente, die du sehr klar wahrnimmst – allein schon wegen dieses Schwebezustands, den du unter Wasser hast. Du bist da tatsächlich freier. Viele Leute nehmen das am Anfang eher als beklemmend wahr, weil sie die Ausrüstung haben oder die schweren Flaschen auf dem Rücken. Aber du kannst dich da in alle Richtungen bewegen. Du kannst dich von so ner Kante abstoßen und frei über nen von mir aus tausend Meter tiefen Abgrund schweben. Ohne runterzufallen.
Und ich hab dann eben immer versucht, diesen Barrakuda zu erwischen, ihn sozusagen zu umrunden, um ein Bild von vorne zu machen. Wobei ich einige Jahre zuvor durchaus mal ne unangenehme Erfahrung mit einem Barrakuda gemacht habe. Das war allerdings auf einem Nachttauchgang. Da sind wir mit unseren Kameras und Lampen um einen Korallenblock herumgetaucht. Und zwei Meter vor uns war auf einmal ein Barrakuda. Auch ein ziemlich großes Tier, das gerade einen anderen Fisch frisch getötet hatte. Der lag noch zappelnd am Meeresboden, direkt im Sand. Und der Barrakuda hat sich dann wirklich gestört gefühlt und hat sofort unsere Lampen angegriffen; hat ein, zwei Attacken dagegen geschwommen; versucht, da reinzubeißen; hat aber natürlich gemerkt: Okay, dagegen kann er nichts ausrichten, das ist irgendwie zu hart. Und ist dann abgezischt.
Ich hab gemerkt: Das ist der wahre Herrscher des Ozeans – und ich bin einfach nur ein kleiner, popliger Tauchermensch, der da zufällig auch noch rumschwimmt
Während mein Barrakuda, da im Roten Meer, eigentlich überhaupt nichts gemacht hat. Aber er hat sich immer so ein bisschen weggedreht – hat mir immer nur seinen Hintern gezeigt. So was gibt’s ja öfter bei Begegnungen mit Tieren. Manche beäugen dich neugierig, aber manche lassen dich auch komplett links liegen. Weil sie vielleicht genau wissen, dass wir keine Gefahr sind, aber halt auch kein Futter. Das passiert bei Haien sehr häufig. Die sind schon manchmal neugierig. Weil wir eben groß sind; und die Haie sind auch groß. Deswegen checkt man sich mal so ein bisschen gegenseitig aus. Aber die stellen schnell fest, dass wir nix von Interesse sind; dass man sich mit uns nicht abgeben muss. Worauf sie wieder wegschwimmen. Und da kannst du machen, was du willst: der würde auch nicht wiederkommen.
Und das war halt mit meinem Barrakuda ähnlich. Der ist einfach immer von mir weggeschwommen. Ganz entspannt. Ein Barrakuda, wenn der genervt ist, merkst du das dem Tier sofort an. Dann kuckt er einen auch an. Dann macht er Scheinattacken, und ist wirklich hart angenervt von dir und aggressiv. Aber der war das überhaupt nicht. Sondern schwamm immer so zehn Meter vor mir davon.
Und das hat mich natürlich geärgert – dass er mir den Gefallen einfach nicht tut. Dass er mich nicht anschaut. Aber nachdem er seine erste oder zweite Runde um mich geschwommen war, immer in diesem großem Abstand, hab ich auf einmal das Motiv gesehen – dieses Tieres, dieses großen Raubfischs, in dem noch viel größeren blauen Ozean. Und hab gemerkt: Das entspricht tatsächlich viel mehr seinem Wesen. Dass er sich mir nämlich nicht zuwendet. Weil er wirklich was Besseres zu tun hat, als mir jetzt irgendwie Neugierde zu zeigen. Wir Menschen sind ja vergleichsweise erst sehr, sehr kurz unter Wasser unterwegs. Während so ein Barrakuda schon ewig an dieses Leben angepasst ist. Der kann die Tiefe wechseln, wie er will; der kann so schnell schwimmen, wie er will ... Ich hab gemerkt: Das ist der wahre Herrscher des Ozeans – und ich bin einfach nur ein kleiner, popliger Tauchermensch, der da zufällig auch noch rumschwimmt.
So ähnlich hab ich das auch bei den Orcas vor Norwegen erlebt. Das sind ja ebenfalls ganz große intelligente Räuber; garantiert intelligenter als der Barrakuda. Und da war das in der Tat nicht nur das Verhalten, sondern ein Blick, der mir gezeigt hat: »Ich hab nicht nur kein Interesse an dir, sondern ich weiß ganz genau, dass ich mich von dir fernhalten soll.« Die könnten dich ja mit einem einzigen Schwanzflossenschlag tothauen. Aber sie machen’s nicht! Sie kucken dich an. Schwimmen an dir vorbei. Und da kuckt dich so ein verhältnismäßig kleines schwarzes Auge an ... Aber das ist so krass. Noch viel krasser als bei Hunden. Da kuckst du in die Seele dieses Tieres. In seinen Gemütszustand. Da kuckt etwas derart Intelligentes zurück – das hab ich noch bei keinem anderen Tier erlebt.
Orcas scheinen da also wirklich zu differenzieren. Sehr gut sogar. Tatsächlich gab es noch keinen einzigen Angriff von frei lebenden Orcas. In Gefangenschaft – klar, da haben schon mehrere Orcas ihre sogenannten Trainer getötet, zerfleischt, totgekloppt ... Aber wenn ich so ein stressiges Leben hätte, in so ner kleinen Badewanne, dann würde ich diejenigen, die da versuchen, mich zu dressieren, auch kleinhacken.
Und das ist bei Barrakudas tendenziell ähnlich. Mit denen gibts zwar durchaus immer wieder Unfälle; aber die sind zum Beispiel bei Speerfischern; wo der Barrakuda vielleicht angezogen wird von nem toten Fisch oder von irgendwas Glitzerndem, Blinkenden. Oder dass er im trüben Wasser Beute vermutet – und einfach mal irgendwo reinbeißt. Und so ein sogenannter Probebiss kann halt – bei einem derart großen Kopf und derart scharfen Zähnen – durchaus zu tödlichen Verletzungen führen.
Aber bei meinem Barrakuda war’s dann im Endeffekt wie bei dem in der Nacht. Er war auf einmal weg. – Wie so viele Tiere, die in diesem Schwarzblau verschwinden. Es bleibt nur die Erinnerung. Oder bei mir zum Glück dieses Foto, das ich von ihm ausgewählt habe und das jetzt bei mir über dem Schreibtisch hängt. Und durch das ich jeden Tag an diese Begegnung denke – und an diese Schwanzflosse, durch die man, glaube ich, ein Gefühl dafür kriegt, wie dieser Raubfisch elegant, mit einem einzigen Schlag, einfach wegtauchen könnte.