Du meine Tüte!

Dass man edle Dinge nicht einfach so entsorgt, ist ja verständlich. Aber in diesem Fall meint unsere Autorin ­eigentlich selbst, dass sie zu weit geht.

Bei manchen Dingen mag es sinnlos sein, sie anzusammeln. Es würde sich aber auch sinnlos anfühlen, sie auszumisten.

Illustration: Roman Muradov

Ich schaffe es nicht, leere Tüten wegzuschmeißen, 15, 16 mögen es sein, die sich angesammelt haben im Lauf der Jahre im Schlafzimmerschrank rechts unten, sie stehen da seit Langem ungenutzt rum. Ja, stehen, denn es sind hochwertige Papiertüten, An­gebertüten mit verstärktem Boden, meis­tens mit Kordeln statt Plastiktragegriffen, auf denen »Chanel« steht oder »Käfer« oder »Obermaier seit 1895«, alle ordentlich gefaltet und in der größten von ihnen verstaut. Im Gegensatz zu den Plastiktüten, die zusammengeknüllt in der Küche im Zwischenfach über dem Abfall liegen. Und die nie ins Schlafzimmer dürften. Auch sie brauche ich nicht mehr, ich gehe jetzt mit Baumwoll­tasche und Korb einkaufen. Nur: Anders als meine Papiertüten sind mir die Plastiktüten herzlich egal.

Dabei finde ich das Konzept der »guten Tüte« furchtbar antiquiert, ähnlich wie das des »guten Geschirrs«, das man nur aufdeckte, wenn Tante Doris 1973 zu Besuch kam. Außerdem bin ich überhaupt keine Sammlerin, mehr noch, ich meide Leute, die stolz von ihren 54 unterschiedlichen Badeenten erzählen oder von ihren Erstausgaben von Peter Handke oder von ihrem Riecher, auf Flohmärkten die tollsten Schnäppchen zu machen. Ich schäme mich seit ein paar Jahren für meine Kleinbürgerspießigkeit, dafür, dass ich eine Flasche Rotwein oder ein Buch, das ich auf eine Geburtstagsfeier mitbrachte, nicht in der »Kaufhof«-Tüte ließ, sondern umpackte in eine mit dem Aufdruck »Lamm St. Moritz«. Motiv? Klar, oder?

Die Leute sollten denken: Wow, wo die überall einkauft! Dabei hatte ich die Tüte selbst mal bekommen, mit drei Gläsern selbst gemachter Marmelade drin. Und es gab wirklich Gastgeber, die fragten: »Willst du die Tüte wieder mitnehmen?« Die also dieses Spiel kannten, durchschauten, vielleicht selbst betrieben, und es gar nicht schlimm fanden. Mache ich alles längst nicht mehr, ist mir echt zu blöd geworden. So blieben die restlichen guten Tüten stehen, unberührt.

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Bis wir unser Schlafzimmer umräumten und die Frage, ob diese Tüten nicht einfach in die Tonne gehörten, plötzlich Brisanz bekam. Zig Pullis und Sakkos und Programmhefte, die sich auf dem Nachttisch anhäuften, haben wir aussortiert, doch bei den Papiertüten habe ich mich gewunden.

Sicher, machte jemand fünf Euro dafür locker oder müsste ich in ein Apartment mit zwanzig Quadratmetern ziehen, schwups, landeten sie in der Papiertonne. Doch einfach so? Ich saß also an manchen Abend auf meinem Bett, schaute auf die Tüten und dachte an meine Mutter, die auch »gute Tüten« sammelte, ebenfalls im Schlafzimmerschrank rechts unten. Als mir dann noch einfiel, dass auch meine Tochter solche Tüten aufhebt im Schlafzimmerschrank rechts, jedoch oben, dämmerte mir, dass ich mit diesem Spleen wohl nicht allein bin.

Geschäfte für teure Designermode haben die Erfahrung gemacht, dass Leute in ihre ­Läden kommen, aber nichts kaufen wollen, sondern nur um eine Tüte bitten

Gibt man bei Ebay »Chanel-Tüten« oder »Versace-Tüten« ein, ploppen Dutzende Verkaufsangebote auf, je nach Größe und Zustand kosten sie zwischen fünf und 25 Euro. Pro Stück. Geschäfte für teure Designermode haben die Erfahrung gemacht, dass Leute in ihre Läden kommen, nichts kaufen wollen, nur um eine Tüte bitten. Lediglich eine »Back- Office-Mitarbeiterin« von Dolce & Gabbana war bereit, sich in diesem Zusammenhang zitieren zu lassen – jedoch ohne Namen: »Ja«, sagte sie, das komme immer wieder vor, »aber sie kriegen keine Tüte.«

Ich fragte Freundinnen, ob sie das Phänomen kennen: Ja. Dann Kolleginnen: Ja. Und fast alle erzählten, dass auch ihre Mütter solche Tüten aufgehoben haben, meistens im Schlafzimmer, bei einer war es der Heizungskeller. Inzwischen kenne ich sogar ein paar Männer, die das tun, abgeschaut von ihren Müttern.

Die Gedanken dahinter kann ich schon verstehen: Überreicht man jemandem eine unverpackte Flasche Wein, sie bleibt, und mag sie noch so teuer gewesen sein, ein Massenprodukt. Schon ein Schleifchen um den Flaschenhals macht sie einen Hauch individueller, zusätzlich in schönes Papier gewickelt, wird sie zu einem persönlichen Geschenk. Und das will ich dann nicht aus einer zerknüllten Plastiktüte aus dem Fach über dem Abfall kramen, denn gefühlt verliert die Flasche dadurch sofort an Wert.

Getäuscht wird sich die oder der Beschenkte von der »guten Tüte« nicht fühlen, denn die Idee, dass zum Beispiel Jil Sander jetzt auch in Wein macht, ist zu abwegig. Noch ein Grund, warum ich glaube, dass der »guten Tüte« noch ein ziemlich langes Leben bevorsteht. »Die Aura, dass der Schenkende sich mal was Teures geleistet hat, überträgt sich«, sagt der Diplom-Psychologe Albrecht Schnabel, der sich näher mit dem Phänomen befasst. Und: »Schöne Verpackungen machen was mit einem, sie werten jeden Inhalt auf.«

Schaue ich in meinem Schlafzimmer auf meine Tütensammlung, denke ich nicht nur ans Schenken. Ich denke irgendwann auch an meine Mutter. Und ich erinnere mich gern an sie.