Liebe zukünftige Lieblingsfrau,
gestern habe ich mich an der Supermarktkasse verliebt. Die Kassiererin mit dem japanisch anmutenden Tattoo auf dem Unterarm hat den Topf Basilikum auf dem Laufband gesehen und gefragt: »Soll ich dir erklären, wie du den ewig behalten kannst?« Dann hat sie es mir erklärt, ohne auf eine Antwort zu warten, und mich konsequent geduzt, was gut war. Das ist es ja nicht immer, aber hier schon. Und als sie erzählte, wie ich die kleinen Triebe entfernen und den Rest alle zwei Tage gießen und jeweils nur ein, zwei Blätter von jedem Strunk, oder wie man das nennt, abpflücken soll, war ich ein paar Sekunden lang wirklich verliebt in sie. Und es war schön.
Ungefähr vier Minuten später war ich ein paar Sekunden lang verliebt in eine Radfahrerin, die mich fast umgefahren hätte und dann so zauberhaft verlegen und entschuldigend lächelte, dass ich für die Dauer eine Blitzes dachte, sie sei der wunderbarste Mensch der Welt. An manchen Tagen spritze ich Herztropfen wie eine heiße Pfanne Bratfett. Es sind alle Menschen schön an diesen Tagen, vor allem die Frauen, und jede hat etwas Besonderes an sich, etwas Liebenswertes, einzigartig Strahlendes. Es sind die Tage, an denen an ihnen alle Kleider richtig sitzen und bei jeder Bewegung genau so um die Beine spielen, dass es aussieht, als würden sie auf der Straße tanzen, und jeder Blick birgt ein Versprechen, eine Möglichkeit. Jede dieser Sekunden der Verliebtheit fühlt sich an, als wäre auf einmal alles gut, wenn es nur genauso bliebe wie in diesem Moment.
Je mehr ich darüber nachdenke, umso weniger weiß ich über das Verliebtsein. Kann man eine Sekunde lang verliebt sein? Ich erlebe das ja. Genau wie ich erlebt habe, wie es ist, mehr als zehn Jahre lang verliebt zu sein. Auch das geht. Es hilft einem natürlich nicht viel – ein Leben, das mit nichts anderem gefüllt ist als Verliebtsein, ist wahrscheinlich nicht viel mehr als eins, in dem man permanent im Rausch ist. Aber es fühlt sich so gut an! Verliebtsein ist das Kokain unter den Gefühlen, und ich verstehe zum ersten Mal dieses geflügelte Wort vom »Verliebtsein ins Verliebtsein« – es ist eine Sucht. Und Sucht kommt von Suche.
Ich bin verliebt in dich. Komischerweise ist es vielleicht das Einzige, was ich über dich weiß. Außer vielleicht: Ich weiß, dass es dich gibt. Weil du alles bist, was gut ist an mir, du bist mein Mut und meine Träume, meine Ideen und meine Geduld. Mein Vertrauen. Meine Leidenschaft. Und das ist das Schlimmste: das Gefühl, das beste von mir würde ungenutzt in einer Ecke darauf warten, dass jemand kommt und den Staub wegpustet und die Teile poliert, die strahlen sollen.
Am Abend kam der Regen. Im Park packten die Leute ihre Decken hastig in große Taschen voller Tupperdosen, und auf dem Weg zurück über den Schulhof sah ich zu, wie die Kreidezeichnungen auf dem Boden zu Farbe zerliefen und sich in Bächlein zu einem Regenbogen mischten. Genau wie die Paare hinter den warmen Fenstern, die sich in meiner Vorstellung auf dem Sofa zu einer amorphen Masse verschmelzen und etwas im Fernsehen gucken würden, an das sie sich nicht erinnern müssten, weil der Abend auch so einen Sinn gehabt haben würde. Wenn du allein die Form verlierst, entsteht daraus nichts Neues.
Aber wenn wir es zusammen tun, werden wir wir.
Foto: Stephanie Pfaender