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Ach, was heißt schon Nobelvorort? Über den Niedergang von Grünwald

Keiner da heute. Keine Bayernstars, keine Ochsenknechts, keiner, dem man in einer Talkshow schon mal begegnet wäre. Nicht mal einer, der auch nur annähernd das Klischee des Grünwalders erfüllen mag: um die Schultern den rosa Kaschmirpullover, im Haar die Sonnenbrille mit Goldbügel, im Gesicht unerklärliche Bräune und das überhebliche Lächeln des allzu schnell oder ohne Arbeit zu Geld Gekommenen.

Für den Münchner ist Grünwald etwa das, was der Berliner in München sieht: ein Ort, dessen Bewohner er, wegen der vermuteten Privilegien, insgeheim beneidet, aufgrund ihnen unterstellter Eigenschaften jedoch lautstark verachtet, zumindest belächelt. Ein dankbares und verlässliches Feindbild, das allein schon deshalb funktioniert, weil Grünwald nicht zu München gehört. Grünwald beginnt da, wo München aufhört. Und nun das. Viel zu viele Kellner für viel zu wenige Gäste. Vereinzeltes Messergeklapper aus der hintersten Ecke des Lokals, ein Paar, dem schon vor dem Hauptgang die Gesprächsthemen ausgehen, im »Eboli«, dem Klassiker unter den Grünwalder Lokalen, herrscht trostlose Stille – trotz Samstagabend, trotz cremefarbener Lederpolster, trotz der perfekten Kulisse für Louis-Vuitton-Handtaschen und Geplauder über Lachscarpaccio. So bleibt es den ganzen Abend, und man bekommt beinahe Mitleid mit dem Wirt, der offensichtlich erst vor Kurzem einen Haufen Geld in die Renovierung gesteckt hat. Auch beim anderen Italiener, eine Straße weiter, bietet sich kein anderes Bild, abgesehen davon, dass man dort noch ganz dem Stil der Achtzigerjahre vertraut.

Irgendetwas stimmt hier nicht mehr: Entweder ist das Klischee schon ein wenig in die Jahre gekommen. Oder der Ort selbst hat sich verändert in den vergangenen Jahren.

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Die Vorstellung, dass Grünwald vor allem aus übergeschnappten Reichen und fortgeschrittenem Schnöseltum bestehe, hat entscheidend der Umstand geprägt, dass mehr als zwanzig Jahre lang jeden Freitagabend um Viertel nach acht angebliche Grünwalder Gebräuche im Fernsehen zu besichtigen waren. Oberinspektor Derrick bot einem Millionenpublikum Einblick in Villen, Gärten und die Abgründe verkrachter Millionäre, die Mehrzahl der Derrick-Folgen wurden in Grünwald gedreht. Gewöhnlich bekam es der Oberinspektor mit Witwenmördern, verwahrlosten Söhnen, skrupellosen Töchtern und raffgierigen Ehefrauen zu tun.

Natürlich ist nicht alles nur Vorurteil. Der durchschnittliche Grünwalder versteuert dreimal so viel wie der durchschnittliche Münchner, die Statistik verzeichnet mehr gemeldete Autos (11709) als Einwohner (10954), und es leben auch noch richtige Stars in Grünwald – wenngleich nur wenige, Franck Ribéry etwa und bald auch Jürgen Klinsmann, der mit seiner Familie in die Villa des ehemaligen Siemens-Chefs Klaus Kleinfeld einzieht.

Doch dass in Grünwald einiges anders ist als früher, das zeigt sich, wenn man in Zeitschriften blättert. In den Klatschspalten tauchen Grünwalder Prominente nur noch gelegentlich auf, etwa wenn sie Ärger mit Kindern, Alkohol oder Ehemännern haben, was einfach daran liegt, dass die meisten, die dort noch leben, wie etwa Carolin Reiber, Patrick Lindner, Max Greger oder die Kessler-Zwillinge, ihre besten Zeiten schon hinter sich haben. Ein Los, dem Uschi Glas, Horst Jüssen und Roberto Blanco offenbar entkommen wollten – sie haben Grünwald verlassen. Oliver Kahn, so ist zu hören, sieht sich ebenfalls nach einer neuen Bleibe um, wahrscheinlich in Harlaching. Es braucht schon einiges Wohlwollen und Sinn für Nostalgie, um Grünwald nach wie vor als »Prominentenvorort« zu bezeichnen.

Zuletzt war von Grünwald öfter im Wirtschaftsteil zu lesen, wenn Steuerfahnder nach unterschlagenem Geld fahndeten, in Korruptionsfällen ermittelten oder gegen Anlagebetrug vorgingen. Nicht dass ein direkter Zusammenhang bestünde, doch dass sich in-zwischen auffallend viele Finanzdienstleister, Leasingfirmen und Fondsverwaltungen in Grünwald niedergelassen haben, hat weniger mit der Abgeschiedenheit zu tun als mit dem Umstand, dass der Ort seit 2004 über einen der geringsten Gewerbesteuersätze Deutschlands verfügt.

Zu bestaunen gibt es in Grünwald aber noch ganz anderes: alte und noch mehr kuriose Villen. Toskanische Landhäuser, Bungalows im Palm-Springs-Stil, alpenländische Holzhäuser, bizarre Bauten, die nur dem Geschmack ihrer Erbauer folgen. Doch was viel stärker ins Auge sticht, sind die Baulücken und Bauzäune, die Schilder der Immobilienfirmen entlang der guten Adressen: »Zu verkaufen«. Die Auswahl ist groß: Penthouse-Wohnungen, Villen und Bungalows, alles ist zu haben, und Baugrund ist, etwa im Vergleich zum Herzogpark in Bogenhausen, günstig. 1500 Euro für den Quadratmeter muss man in Grünwald derzeit zahlen, in Bogenhausen sind es beinahe doppelt so viel. Dass Grünwald nicht mehr die teuerste und begehrteste Adresse für Münchens Reiche ist, dafür gibt es einige Gründe.

Detlev von Wangenheim makelt seit mehr als vierzig Jahren Luxusimmobilien in und um München. Die Bedürfnisse haben sich verändert: »Besonders weil die Käufer immer jünger werden«, erklärt er. Sei es, dass sie in der IT- oder Finanzbranche schnell zu Geld gekommen sind oder dass sie große Vermögen geerbt haben. Wer über mehr Geld als genug verfügt, den zieht es heute in die Stadt, so zentral wie möglich – oder gleich ganz raus an den Starnberger See.

Früher stand eine Grünwalder Adresse für Leben im Grünen, mit Garten und Personal. Der Weg hinaus aus der Stadt, durch Harlaching hindurch, galt ebenso als Privileg wie die Ferne zum Getöse der Stadt. Heute bedeutet Grünwald auf dem Immobilienmarkt: Randlage, weite Wege, hoher Zeitaufwand.

Ende der Neunziger nahm der Niedergang Grünwalds als Villenvorort seinen Anfang. Bis dahin hatten Baugrundstücke eine Mindestgröße von einem Tagwerk, das entspricht 3408 Quadratmetern. Es galt die einfache Regel: ein Tagwerk, ein Gebäude. Seit 1997 gilt der sogenannte Tagwerkszwang nur noch für ein Karree entlang des Isarhochufers, überall sonst dürfen Grundstücke geteilt, gedrittelt und mehrfach bebaut werden. Das Resultat ist nun überall zu besichtigen: Eine Villa nach der anderen weicht »Doppelspännern« und den unter alten Grünwaldern verhassten »Flachdachkisten« – der Vorort wird anderen Vororten immer ähnlicher, außer dass hier inzwischen viele Russen Grundstücke und Häuser kaufen, wie der Makler von Wangenheim erzählt.

Früher wurde Grünwald gelegentlich mit Beverly Hills verglichen, und so abwegig war das nicht mal: die Filmstudios, die Stars, das Geld. Doch die großen Zeiten des Bavaria Filmgeländes, als Billy Wilder, Ingmar Bergman und Rainer Werner Fassbinder dort drehten, sind lange vorbei. Heute residiert da RTL 2.

Grünwald verblasst. Man merkt es nur nicht gleich. Zum einen, weil die Patina, in die sich der alte Glanz an vielen Stellen verwandelt hat, oft noch sehr schön ist. Zum anderen, weil das Verblassen sich an diesem Ort unter erstklassigen Bedingungen vollzieht. Inzwischen gibt es nahezu alles, was auch anderswo vorstädtisches Leben ausmacht: Bioläden, McDonald’s, Schwimmbad, Kulturzentrum. Und Kindergärten – in den vergangenen Jahren kamen so viele neue hinzu, dass Dietmar Jobst, Geschäftsleiter der Gemeinde Grünwald, den in Deutschland ziemlich einmaligen Satz sagen kann: »Bei Kindergartenplätzen haben wir eine Deckung von 100 Prozent, bei Krippen immerhin von 90 Prozent.« Derzeit plant man ein eigenes Gymnasium.

Geblieben ist das Geld. Es gibt davon trotz allem immer noch so viel in Grünwald, dass die Gemeinde derzeit über eine Kinderprämie nachdenkt, eine Art zusätzliches Kindergeld. 100 Euro pro Kind und Monat. Allerdings, heißt es, sollen nur bedürftige Familien davon profitieren. Daran könnte es scheitern.

Illustration: Dirk Schmidt