Name: Julian Busch
Geburtstag: 22.09.1992
Wohnort: Hamburg
Ausbildung: Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover
Website: www.julian-busch.de
SZ-Magazin: Für ein Langzeitprojekt besuchen Sie seit eineinhalb Jahren regelmäßig das Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Julian Busch: Ich habe am Anfang acht junge Afghanen begleitet, die zu dem damaligen Zeitpunkt gerade volljährig geworden waren. Von ihnen leben nur noch vier im Camp, zu denen ich via WhatsApp Kontakt halte. Die anderen sind mittlerweile auf dem Festland. Als ich im September 2018 die Jungs kennengelernt habe, waren etwa 8000 Geflüchtete dort, schon damals zu viele für die Fläche. Es ist ein altes Militärgelände und eigentlich für 2840 Menschen ausgelegt. Das wilde Camp im Olivenhain um das Lager hat sich immer mehr vergrößert. Heute leben dort etwa 20.000 Menschen beengt auf etwa einem Quadratkilometer.
Wie sieht der Alltag im Camp aus?
Die Menschen haben den ganzen Tag etwas zu tun, es gibt ein großes Gewusel zwischen den Zelten. Die Bewohner versuchen zu überleben, aber sie sind nicht nur Opfer, sondern Menschen, die ganz normale Sachen machen. Bauen ihre Zelte, kochen sich etwas zu Essen, waschen Wäsche. Auch Haarschnitte und Klamotten sind wichtig. Es gibt Kinder, die im Schlamm und Müll herumspringen. Familien, die Drachen steigen lassen. Es gibt Gelächter, aber auch Schreie. Vor allem in der Nacht kommt es gehäuft zu Gewalt und Übergriffen. Die Geräuschkulisse, ich nenne sie den Moria Blues, hat sich nicht verändert, seitdem ich das erste Mal dort war – aber es ist deutlich lauter geworden.
Vor zwei Wochen sind Sie abgereist.
Gerade gab es die Proteste der lokalen Bevölkerung gegen die griechische Regierung und deren Plan zur Errichtung von geschlossenen Flüchtlingslagern. Die Atmosphäre war sehr aggressiv, die Lage hat sich zugespitzt, die Stimmung schlug um. Die Polizei hat rigoros Tränengas eingesetzt. Es gab vermehrt Übergriffe auf Journalisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Auch eine Kollegin und ich wurden von einer faschistischen Gruppierung angegriffen. Am Montag vor zwei Wochen hat es dann im Camp gebrannt, mindestens ein Kind ist gestorben. Nur einen kurzen Moment gab es eine Pause, in der sich die Stimmung etwas runterkühlen konnte. Und jetzt bahnt sich die nächste Krise an: Corona.
Noch gibt es offiziell keine Infizierten. Um die Bewohner zu schützen, wurde das Camp vor einer Woche abgeriegelt. Niemand darf es mehr verlassen. Wie nehmen Ihre Kontakte die Gefahr wahr?
Die Geflüchteten verstehen teilweise noch nicht genau, was Corona für sie bedeutet. Sie sind nervös und merken, dass viele Helfer die Insel verlassen haben. Es gibt kaum noch Menschen von NGOs und Hilfsorganisationen vor Ort. Im Camp wurden schon Plakate in mehreren Sprachen aufgehängt mit Tipps zum richtigen Händewaschen. Doch die Hygieneverhältnisse sind katastrophal. Mit einer Wasserstelle müssen 1300 Menschen versorgt werden, es gibt zu wenige Toiletten und überall liegt Müll, weil die Gassen so eng sind, dass keine Autos der Müllabfuhr kommen können. Die medizinische Versorgung fehlt. Das Camp ist eine tickende Bombe.
Wie schätzen Sie die Situation ein: Was würde passieren, wenn das Virus Moria erreicht?
Wenn jemand auffällig wird, sollte er möglichst schnell isoliert werden, bevor sich das Virus wie ein Flächenbrand ausweitet. Aber vielleicht ist es schon da. Die meisten Bewohner sind jetzt schon chronisch krank. Es ist viel zu kalt. Die Tage werden zwar gerade wärmer, aber die Nächte sind eisig. Es gibt viel zu wenig Ärzte. Die Gesundheitsversorgung auf der ganzen Insel ist schlecht. Die lokalen Behörden können das nicht stemmen. Es gibt keine Möglichkeit, die Menschen zu versorgen. So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. So etwas wie das Flüchtlingscamp in Moria darf es eigentlich gar nicht geben.