Isst du das noch?

Unsere Senioren-Kolumnistin über Melonen, Butter und die Frage, ob der Appetit im Alter wirklich abnimmt.

Illustration: Nishant Choksi

Ich habe jetzt schon einige Jahre gelebt und kann mit großer Sicherheit sagen: Der Sommer ist die beste Jahreszeit, allein wegen des guten Essens. Die Natur spült auf einen Schlag Leckerbissen in die Läden. Kirschen, Heidelbeeren, Salat, Tomate, alles hat Saison. Der Winter hingegen bietet Kohl. Es ist wirklich eine klare Sache.

Das führt dazu, dass ich im Sommer fast nur noch Obst und Gemüse in meinem Einkaufskorb nach Hause trage. Ich kann an Melonen fast nicht vorbeigehen, ohne sie zu kaufen. Sie sind mein liebstes Abendessen im Sommer. Erst ein Käsebrot, dann Melone, in kleine Stücke geschnitten, noch kalt aus dem Kühlschrank. Und so süß und reif, dass ich sie schon fast mit meiner Zunge im Mund zerdrücken kann.

Melonen zeigen aber auch besonders deutlich eine Folge des Älterwerdens: Ich schaffe keine großen Portionen mehr. Eine Melone ist für meinen Magen eine unstemmbare Aufgabe geworden. Selbst, wenn ich nur eine Netzmelone kaufe oder eine dieser besonders klein gezüchteten Wassermelonen, habe ich keine Chance. Ich schneide mir ein, zwei Schnitze heraus und versuche, den Rest gut abgepackt im Kühlschrank zu verstauen. (Was ich meistens nicht hinbekomme, denn obwohl ich einen Küchenschrank voller Tupperware habe, finde ich nie den passenden Deckel zu den Gefäßen. Und wenn ich die Suche aufgebe und dann versuche, ein Stück Küchenfolie abzureißen, obwohl ich doch eigentlich so wenig Plastik wie möglich verwenden möchte, scheitere ich an diesen Rollen und habe am Ende ein verklebtes Häufchen Küchenfolie in der Hand.) Wenn ich also entscheide, eine Melone anzuschneiden, weiß ich auch, dass ich nun tagelang an ihr nagen und immer wieder Küchenfoliendramen erleben werde.

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Es ist wohl das gleiche Problem, das Singles im Supermarkt haben: Eigentlich sind alle dort angebotenen Produkte zu groß für mich. An einem Käsestück esse ich wochenlang, Butter schaffe ich nie vor dem Ablaufdatum, eine Tüte Milch sowieso nicht. Früher hätte ich das Problem pragmatisch gelöst und mich gezwungen, alles aufzuessen und auszulöffeln. Aber je älter ich werde, desto weniger spielt mein Magen bei solchen Mogeleien mit.

Ich war noch nie eine große Esserin, das hängt auch mit der Hektik zusammen, einen Schwung Kinder großzuziehen. Damals schaffte ich es meistens, mir ein paar Gabeln Nudeln in den Mund zu stecken, bevor ich damit beschäftigt war, Tomatensauce von meinen Kindern oder Enkeln zu wischen. Aber trotzdem fällt mir auf, wie sehr mein Appetit im Alter abgenommen hat. Ich habe noch die gleiche Lust auf Schokokuchen, Nüsse oder Käse, aber nach ein paar Bissen merke ich, dass es wirklich nur Lust war, kein Hunger. Es fühlt sich so an, als wäre in meinem Magen kein Hohlraum mehr, sondern als wäre er zusammengeschrumpelt wie eine Trockenfrucht.

Weil ich Lebensmittel wirklich nicht wegschmeißen möchte, habe ich einen anderen Weg gefunden: Ich suche mir Komplizen. Ich lade Besuch ein, der mir hilft, die Melone zu essen. Es ist sowieso netter, Sommerabende plaudernd mit Weißwein und Gästen auf dem Balkon zu verbringen, und ich bin froh, wenn mein Besuch auf meinen Teller schielt und fragt: »Isst du das noch?« Bei Butter löse ich es anders. Anstatt wochenlang an dem Stück zu schaben, landet es nach kurzer Zeit einfach in einem Kuchenteig. Und es gibt eine einfache Regel: Je mehr Kuchen man im Haus hat, desto mehr Besuch bekommt man auch. Irgendwie schön.