Ich wohne in einem Haus, das rollstuhlgerecht ist. Das war eine Art Vorsorgemaßnahme. Sie bedeutet aber auch: Die meisten meiner Nachbarn sind alt. Und das wissen die Betreiber von Versandhauskatalogen. In unserem Flur stapeln sich die Broschüren für Ginkokapseln, Treppenlifte und Senioren-Telefone.
Ich verstehe das schon, alte Menschen sind eine dankbare Zielgruppe für die Werbung. Sie haben ziemlich genau umrissene Probleme: Treppen zu steigen, sich nicht in die Unterhose zu pinkeln, obwohl der Beckenboden schwach wird, Einsamkeit, Knieschmerzen, Vergesslichkeit, Gutgläubigkeit und die Tatsache, dass wir in wirklich keiner der großen Modeketten etwas finden, das nicht absolut lächerlich an uns aussehen würde. Die Antworten auf unsere Probleme drucken sie als Angebote in Prospekte.
Ich habe mir so einen Katalog aus rein wissenschaftlichem Forschungsinteresse mal mit in die Wohnung genommen. Denn eine Frage treibt mich um: Wie kommt es dazu, dass viele Männer in meinem Alter Tarnfarben tragen? Also den Ton, den man auch gerne als Rentner-Beige zusammenfasst?
Ich habe ein einziges beiges Outfit. Das ziehe ich nur dann an, wenn ich im Park heimlich Holunderblüten für meinen Hollersirup abknipse und dabei nicht den Parkwächtern auffallen möchte.
Warum man beige Klamotten zu einem anderen Anlass anziehen sollte, kann ich nicht nachvollziehen. Aber beim Durchblättern des Kataloges wurde mir klar: Es ist das, was den Senioren angeboten wird. Die Seiten zeigten die breite Palette aus dunkelbeiger Schirmmütze, schlammfarbener Stoffhose und olivgrüner Windjacke. Sogar einen Pyjama in Beige gab es zu kaufen. Und das alles zu Preisen, die früher die teuerste Boutique in meiner Kleinstadt verlangt hätte.
Jetzt weiß ich endlich, aus welcher Quelle all die Klamotten stammen. Und warum manche Senioren eine Tendenz dazu haben, sich diese Sachen zu bestellen, verstehe ich sowieso. Ich bin mir sicher, dass es die gleichen Menschen sind, die früher einen sehr gepflegten Vorgarten hatten und mit ihrem Auto regelmäßig in die Waschstraße gefahren sind. Also Menschen, die ja nicht unangenehm auffallen wollen und deswegen zur Tarnfarbe greifen.
Denn gefühlt kann man als alter Mensch beim Anziehen nur alles falsch machen. Es gibt gesellschaftlich gesehen überhaupt keine Hilfestellung, wie man sich würdevoll und stilbewusst im Alter kleiden kann. Als Seniorin Klamotten kaufen zu müssen, bringt mich schnell an meine Grenzen. Ich lebe in einer eher kleinen Stadt. Alle Boutiquen, in denen ich früher gerne eingekauft habe, sind geschlossen. Sobald ich ein besonders schönes Oberteil für eine Veranstaltung suche, verzweifle ich. Gerade sind die Shirts fast alle kurz und kastig geschnitten. Darin versinke ich als alte Frau doch.
Aber ganz unabhängig vom Angebot: Es fehlt mir auch an Ideen, wie das mit dem Stil im Alter funktionieren soll. Wenn ich Zeitschriften anschaue, die sich klar an meine Zielgruppe richten (also mit Diätrezepten, Königshaus-Gerüchten und Fernsehtipps), sehe ich darin das Idealbild der Oma mit frecher Kurzhaarfrisur, die gerne wallend weite Strickjacken über gemusterte Shirts trägt und dazu dann eine lange, auffallende Kette. Nun ja, das bin ich nicht.
Meine früheren Vorbilder, Frauen, die sich elegant und klassisch kleiden, verschwinden einfach im Alter. Je älter Schauspielerinnen werden, desto unsichtbarer werden sie auch. Entweder sie laufen überhaupt nicht mehr über die roten Teppiche oder sie werden zu Berufsjugendlichen wie Madonna. Die einzige ältere Frau, die sich richtig gut anzieht, ist Diane Keaton. Ich suche manchmal nach Bildern von ihr im Internet. Wie schön sie durch die Straßen läuft! In klassischen Basics, die aber immer gut geschnitten sind. Wie ihre Röcke, die die Taille betonen, aber mindestens knielang sind. Und all die tollen Hüte! Ein Traum.
Wenn ich mal richtig viel Zeit haben sollte, drucke ich Bilder von ihr aus und schicke sie ohne Kommentar an die Betreiber der Versandhauskataloge. Gebt uns alten Menschen endlich etwas, womit wir arbeiten können. Und wehe, es ist schlammfarben.