W (78) sucht Mann für Konzertbesuche

Wie findet man die Liebe im Alter? Unsere Senioren-Kolumnistin wirft einen Blick in die Kontaktanzeigen – und überlegt, ob sie selbst noch einmal eine Beziehung wagen will.

Illustration: Nishant Choksi

Ein großer Vorteil am Alter ist: Man hat endlich genügend Zeit, die Zeitung gründlich zu lesen. Also nicht nur beim Frühstück zwischen Käsebrot und Kaffee die Überschriften zu überfliegen und abends auf dem Sofa noch einige Artikel zu schmökern. Ich kann jetzt jedes Ressort durchgehen. Und habe sogar für etwas Zeit, das mich sowieso fasziniert: Kleinanzeigen (»Verschenke Grünlilie«) und Kontaktanzeigen.

Die meisten Kontaktanzeigen richten sich an Menschen zwischen 30 und 50. Natürlich. Das sind die Jahre, in denen die Menschen heutzutage ihre erste Ehe verlassen und auf die zweite zusteuern wollen. Aber danach wird die Luft richtig dünn.

In meiner Altersgruppe gab es jahrelang immer nur eine einzige Anzeige. Ein 76-jähriger Mann, sportlich, Nichtraucher, den sie am Ende der Spalte druckten. Er war mir per se ja schon mal sympathisch, weil er sich die »Schulter zum Anlehnen« und ähnlich schmierige Formulierungen sparte. Ein paar Wörter, die Chiffre, unter der man mit ihm Kontakt aufnehmen kann, das war’s. Aber ich habe meine Chance wohl verpasst, seit einigen Monaten fehlt seine Anzeige. Ich hoffe, der Grund ist eine tolle Liebesgeschichte – und nicht ein Sarg.

Meistgelesen diese Woche:

Ich werfe in meinem Kopf immer wieder die Idee hin und her, ob ich noch einmal einen Partner haben möchte. Mein Mann ist vor sechs Jahren gestorben und war vorher durch seine Alzheimererkrankung nicht mehr er selbst. Ich habe also schon seit einigen Jahren das Gefühl, mich dem Leben alleine zu stellen. Das hat wirklich viele Vorteile – endlich nach dem eigenen Rhythmus leben, Jogginghosen tragen können, solche Sachen – aber in manchen Situationen vermisse ich es, einen Partner zu haben.

Was ich ganz sicher sagen kann: Ich will niemanden, der die Fernsehzeitung gründlich studiert und um den ich mich kümmern muss. Keinen alten Grantler. Sondern jemanden, mit dem ich die schönen Momente teilen kann. Einen Mann, der mich auf gute Weise am Leben hält. Der mich abends abholt und mich zu einem Konzert ausführt. Der gerne liest und mir neue Autoren empfiehlt. Einen Gesprächspartner, der nicht in der Vergangenheit verharrt, sondern mit dem ich beim Frühstück über Seehofer und Söder schimpfen kann.

Aber einen solchen Mann zu finden, wird nicht leicht. Ich sehe das bei meinen weiblichen Bekannten. Manche von ihnen haben es probiert und sich im Alter noch einmal auf eine neue Beziehung eingelassen. Aber das waren leider eher abschreckende Beispiele.

Eine Freundin von mir, die leider vor kurzem gestorben ist, hatte zum Beispiel einen Freund, der sich selbst wohl als Gentleman der alten Schule sah. Ich sah ihn hingegen als einen eher schleimigen Typ, der zu vielen Frauen gleichzeitig den Hof machte mit seinen vermeintlich galanten Umgangsformen.

Alte Menschen sind wie Bäume im Winter, die all ihre Blätter verloren haben. Du siehst auf einen Blick, wie der Stamm gewachsen ist. In der Jugend kann man seine wahren Eigenschaften lange verbergen unter angenehmen Umgangsformen und interessanten Hobbys. Aber im Alter verstärken sich die Charaktereigenschaften und die Marotten fressen sich fest. Man kann sich nicht mehr so leicht anpassen und will das auch nicht mehr.

Mir geht es ja genauso. Deswegen an dieser Stelle meine ehrliche Kontaktanzeige: W (78), frühschwimmverrückt, Kaffeeschwarztrinkerin, sucht nach einem Mann, der die ersten 15 Minuten nach dem Aufstehen erst mal schweigt, dann ein angenehmer Gesprächspartner ist, gerne in die Oper geht, eine Meinung hat und nichts gegen ein Glas Wein und eine Käseplatte hat.

Ich glaube, die Suche wird noch ein bisschen dauern. Und falls es nicht klappt: auch ok. Ich bin zu alt für halbgare Sachen.