Vom Pilzkopf der Beatles bis zu den Rastalocken Bob Marleys - im Pop sind Frisuren oft kulturell codiert und stehen für einen Stil und eine bestimmte Einstellung. So ist es auch mit der Schmalztolle von Chris Isaak. Schon als er in den Achtzigern auf der Bildfläche erschien, machte er mit dieser Haartracht klar, dass er sich dem Rock'n'Roll der Fünfziger verpflichtet fühlte, insbesondere dessen bedeutendstem Vertreter - Elvis. Damals gab es eine gar nicht so kleine Rockabilly-Szene, die Isaak zwar bediente, die ihm aber nicht genügte. Der Erfolg kam dann auch tatsächlich - mit dem Song »Wicked Game«, der 1991 dank des unvergessenen Videos mit Helena Christensen zum Top-Ten-Hit wurde.
Danach diversifizierte Isaak sich ein wenig, spielte in ein paar Filmen mit und hatte eine Weile lang sogar eine TV-Show. Dennoch war immer klar, wo seine Prioritäten liegen: bei der Musik der Fünfzigerjahre. In gewisser Weise ist seine gesamte Karriere eine Hommage an diesen Sound, und ich finde es ausgesprochen sympathisch, dass er sich in diesem Punkt nicht beirren lässt und heute, mit knapp sechzig Jahren, genauso leidenschaftlich dafür eintritt wie einst als junger Mann. So enthält sein neues, gerade erschienenes Album First Comes The Night (Rhino/Warner) auch keine Experimente und Überraschungen, sondern einfach 17 Lieder in seinem typischen Stil. Dennoch ist es eine intensive, vielfältige und überraschende Platte geworden, auf der ihm schnelle Rock-Nummern genauso leicht von der Hand gehen wie eindringliche Torch Songs. Vor ein paar Wochen hatte ich Gelegenheit, mit Chris Isaak zu telefonieren.
Chris Isaak, lassen Sie uns zuerst über Ihren Sound reden. Ich finde, Ihnen ist ein besonderes Kunststück gelungen: Sie haben einen sehr prägnanten, eigenen Sound geschaffen, der unverkennbar vom Rock'n'Roll der Fünfzigerjahre inspiriert wurde, gleichzeitig aber auch modern und aktuell ist.
Freut mich, dass Sie das sagen. Genau das war immer mein Ziel. Manchmal sagen Leute zu mir, Mensch, deine Platten klingen wie Platten aus den Fünfzigern. Aber das stimmt nicht - sie sind vom Sound der alten Platten inspiriert.
Wie denn genau?
Was ich an den alten Platten liebe, ob von Elvis, Bing Crosby oder Roy Orbison: Man kann den Sänger gut hören und der Geschichte folgen, die er erzählt. Ich schätze es sehr, das auch auf aktuellen Platten zu entdecken. Zum Beispiel bei Adele - ich denke, das ist auch ein Grund dafür, warum sie so viele Platten verkauft. Ich meine, die Frau ist Wahnsinn, sie singt einfach fantastisch, aber ihre Stimme wird auch immer ganz nach vorne gemischt.
»Nachts um zwei sitze ich mit meiner Gitarre bei mir zuhause im Treppenhaus, wo ich ein schönes Echo habe, und singe die alten Sun-Songs«
Haben Sie Ihren Sound bewusst so gestaltet?
Ja, dass meine Stimme ganz nach vorne gemischt wird, war mir immer wichtig. Sie sollte nicht irgendwo hinten begraben sein. Kennen Sie John Fogerty?
Na klar.
Der hat mir dazu mal eine schöne Geschichte erzählt, die ich noch nie irgendwo in der Presse gelesen habe. Er sagte, Chris, wenn du eine Platte machst, stell dir vor, dass du in einem Kanu sitzt. Du paddelst auf dem Meer herum und lauter Instrumente schwimmen an dir vorbei. Du kannst dir nehmen, was du willst, aber du hast einfach nicht so viel Platz in deinem Kanu. Er hat Recht: Alles, was du auf deine Platte packst, macht sie ein bisschen kleiner. Deshalb muss man damit vorsichtig sein.
Für mich ist eine der Schlüsselfragen des Pop, wie man alte und neue Musik verbinden kann. Was denken Sie darüber? Wie sollte die Vergangenheit die Gegenwart beeinflussen?
Dass sich alles so schnell verändert, stört mich in vielen Kunstformen. Ein Beispiel: In den Vierzigern konnte man sich Filme in Technicolor anschauen. Ich liebe Technicolor - die Farben sind da etwas heller und brillanter als im echten Leben. Ich verstehe schon, dass neue Technologien aufkommen, aber warum muss dabei das verschwinden, was sich bewährt hat? Ich hasse es, wenn die Errungenschaften der Vergangeheit einfach auf dem Müll landen! Ich habe darüber sogar mal mit George Lucas gesprochen: Mach doch mal einen Film in Technicolor, habe ich gesagt, das ist der einzige Special Effect, den man nicht als solchen erkennt. Genauso ist es auch mit alten Platten. Wenn sich der Gesang darauf toll anhört, dann liegt das daran, dass er in einem gut klingenden Studio aufgenommen wurde – und nicht an der heute üblichen Nachbearbeitung am Computer. Das gefällt mir, und deshalb habe ich Teile meiner neuen Platte First Comes The Night auch in Dave Cobbs Studio in Nashville aufgenommen. Der Raum klingt fantastisch und es hat wirklich Spaß gemacht, dort zu singen.
Nashville ist eine der letzte Bastionen dieser Denkweise, oder?
Los Angeles ist eine großartige Stadt für Musik, aber weil dort die geschäftlichen Aspekte so eine große Rolle spielen, steht meist nur der Sänger im Fokus. In Nashville ist den Leuten klar, dass der Produzent und die Musiker genauso wichtig sind. Das gefällt mir.
Bob Dylan hat in seiner Radiosendung mal gesagt, Nashville sei der einzige Ort auf der Welt, an dem ein Banjo-Spieler ein sechsstelliges Einkommen erzielen könne.
Ich habe mich mit einigen Leuten unterhalten und erfahren, wie viel manche der Gitarristen dort verdienen. Mensch, du musst mehr Gitarre üben, habe ich gedacht!
Kaum jemand tritt so nachdrücklich für den Rock'n'Roll der Fünfzigerjahre ein wie Sie. Haben Sie den Eindruck, dass Sie etwas erreichen und andere für die Musik dieser Jahre begeistern konnten?
Einer meiner glücklichsten Momente kam, als mir jemand erzählt hat, dass sein Sohn all die Songs, die ich auf meinem letzten Album Beyond The Sun gecovert habe, mit den Original-Versionen verglichen hat. Ich dachte: Fantastisch, das ist genau das, was ich wollte!
Beyond The Sun war Ihre persönliche Liebeserklärung an das legendäre Sun-Label, auf dem Elvis, Johnny Cash, Roy Orbison und viele andere ihre ersten Aufnahmen gemacht haben.
Diese Originale werden niemals übertroffen werden, das ist meine feste Überzeugung. Ich habe die Platte auch nicht gemacht, um einen großen Hit zu landen, sondern weil ich diese Songs liebe und wahnsinnig gerne singe. Nachts um zwei sitze ich mit meiner Gitarre bei mir zuhause im Treppenhaus, wo ich ein schönes Echo habe, und singe die alten Sun-Songs. Die Leute fragen mich immer, was machst du, wenn die Tour vorbei ist. Ich singe! Und zwar so viel ich will, weil ich meine Stimme nicht fürs abendliche Konzert schonen muss.
Können Sie sich daran erinnern, wann dieser Sound Sie zum ersten Mal gepackt hat?
Der war eigentlich immer da - meine Eltern hatten Rock'n'Roll-Platten und haben sie oft zu Hause gespielt. In der Schule habe ich Hank Williams gehört, die anderen John Denver. Ich weiß noch, wie ich für eine Debatte in der Schule mal einen Anzug tragen musste. Ich hatte einen italienischen Zweireiher aus den Dreißigern, den ich billig im Secondhand-Laden gekauft hatte. Der Lehrer sagte, den Anzug dürfe ich nicht anziehen! Ich lebte in einer anderen Welt als meine Mitschüler, aber ich wollte auch gar nicht Teil ihrer Welt sein.
Sie sind in Kalifornien aufgewachsen, zur Hochzeit der Hippie-Bewegung.
Ja, ich stach wirklich heraus. Im College trugen alle Schlaghosen und lange Haare. Ich hatte meine Haare mit Pomade zurückgekämmt, so wie Elvis, und trug wilde Klamotten aus den Fünfzigern, die ich mir billig auf dem Flohmarkt besorgte.
Bereits damals schien die Rock'n'Roll-Ära weit zurück zuliegen. Aber tatsächlich war alles erst 15, 20 Jahre her und die maßgeblichen Künstler waren fast alle noch am Leben.
Zu den großen Freuden meines Lebens gehört es, dass ich etliche dieser Künstler persönlich kennenlernen durfte. Ich habe mit Jerry Lee Lewis gespielt, mit Johnny Cash, mit Roy Orbison. Ich bin mit Scotty Moore befreundet, Elvis' Gitarristen. An Silvester habe ich ihn erst wieder angerufen. Er war gerade ins Bett gegangen und hat sich gefreut, dass sich noch jemand gemeldet hat.
Diese Leute waren nicht nur tolle Musiker, sie hatten auch jede Menge Charisma. Wie haben Sie das erlebt?
Du triffst deine Helden – und auf einmal sind sie nicht mehr nur Bilder auf Plattencovern, sondern echte Menschen mit einer bestimmten Persönlichkeit. Roy Orbison zum Beispiel war ein wirklich netter Mensch – ohne Zweifel der netteste Mensch, den ich im Showbusiness kennengelernt habe und einer der nettesten, die ich überhaupt je getroffen habe. Wir haben uns großartig verstanden! Genauso Scotty Moore – was für ein toller Typ, der nebenbei noch die Rock'n'Roll-Gitarre, wie wir sie kennen, erfunden hat! Ohne ihn wäre aus Elvis womöglich nur ein Dean Martin für Arme geworden. Erst Scotty hat das Ganze auf eine andere Ebene gehoben. Vergangenes Jahr ist seine Freundin gestorben und ich fürchte, dass er jetzt ein bisschen einsam ist. Als ich ihn letztes Mal besucht habe, hat er mir einen Stapel alte Schellack-Platten gezeigt. Das waren Elvis' alte Platten, die hatten ihm gehört, als er aufwuchs! Ich bin fast vom Stuhl gefallen. Scotty, habe ich gesagt, die Platten sollten wir nicht anfassen, da sind doch überall Elvis' Fingerabdrücke drauf!
Warum ist damals in Memphis so viel tolle Musik entstanden? Was ist Ihre Erklärung?
Es gab damals keine Rock'n'Roll-Hall-of-Fame, es gab keine reichen Rockstars mit Privatflugzeugen und Groupies. Es gab nur ein paar Typen, die unglaublichen Spaß daran hatten, diese Musik zu spielen. Sam Phillips hat das selbst mal über eine Elvis-Platte gesagt: Können Sie den Spaß hören? Ich bin eigentlich kein Zen-Typ, ich mag schöne Dinge, aber ich denke dennoch, dass der Spaß das Wichtigste ist. Heute vergessen das viele Leute. Die wollen perfekt sein und tilgen am Computer alle Fehler von ihren Aufnahmen, um einen großen Hit zu landen und reich zu werden. Aber das ist der falsche Weg. Dazu gibt es ein tolles Zitat von Marilyn Monroe: Ich will gar nicht reich werden und einen Haufen Geld verdienen, hat sie gesagt, ich möchte einfach wunderbar sein.
Ringo hat in den Anfangsjahren der Beatles mal gesagt, er würde sich glücklich schätzen, am Ende seiner Musikkarriere ein paar Friseursalons zu besitzen.
Ja, das Zitat kennen ich. Ich habe Ringo erst letzten Sommer getroffen – für eine Sekunde. Ich habe in einem kleinen Club in den Bergen gespielt, und als ich mit meiner Gitarre durchs Publikum gewandert bin, hat mir ein Typ die Hand geschüttelt - Ringo! Ich bin zurück auf die Bühne und habe nichts gesagt, ich wollte ihm nicht den Abend ruinieren.
Haben Sie schon Peter Guralnicks neues Buch über Sam Phillips gelesen?
Noch nicht. Aber ich besitze es und freue mich sehr darauf. Ich habe Peter Guralnick auch mal getroffen. Mein Leben ist in gewisser Weise eine Liebesgeschichte mit früher amerikanischer Musik und insbesondere Elvis. Ich habe Guralnicks Buch [über Elvis] gelesen und finde, dass er der einzige ist, der wirklich verstanden hat, wie Elvis' Musik entstanden ist. Viele Autoren glauben, sie könnten über Musik schreiben, und dabei kommen dann nur fade Klischees heraus: »Spiel einfach, was du fühlst, Junge ... und schon hatte er einen Hit«. Guralnick hat wirklich verstanden, wo Elvis herkam und hat ein detailliertes Bild davon gezeichnet, was ihn von allen anderen unterschied.
Für mich ist die interessante Frage nicht nur, warum damals so viel tolle Musik entstanden ist, sondern warum vieles, wie ich finde, seitdem auch nicht mehr übertroffen wurde. Zum Beispiel der Harmoniegesang der Everly Brothers.
Ein weiterer großer Moment in meinem Leben: Ich bin mit Phil Everly aufgetreten und habe mit ihm gesungen. Ich habe ihn auch öfter mal getroffen und immer gesagt, Phil, ich heiße Chris Isaak, ich bin Sänger und bei Warner Brothers unter Vertrag. Beim dritten oder vierten Mal sagte er, Chris, ich weiß wer du bist. Letztes Mal hast du mir erzählt, deine Mutter sei krank - geht es ihr besser? So ein netter Mann! Aber ich denke, Sie haben Recht: Der Harmoniegesang der Everly Brothers ist nie übertroffen worden. Warum, das weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man einfach sehr viel üben muss, um so singen zu können. Heute lernen die meisten Leute kein Instrument mehr, sondern machen Musik am Computer. Ich spiele jetzt seit dreißig Jahren mit denselben Typen zusammen. Früher habe ich gedacht, wir proben sechs Wochen und haben's drauf. Tatsächlich war es so, dass ich nach 15 Jahren gemerkt habe: Hoppla, wir sind ja besser geworden.
Seit einer Weile amtieren Sie als Juror in einer australischen Castingshow. Was für einen Rat geben Sie den Talenten dort?
Mein Rat lautet: Versuch nicht, ein Superstar zu werden. Versuch einfach, wunderbar zu sein! Mach etwas, dass dir wirklich Spaß macht! Außerdem empfehle ich jungen Sängern, möglichst oft aufzutreten. Schnapp dir eine Gitarre, lauf die Straße runter und sing für die Leute, die auf der Veranda sitzen! Tritt ihm Altersheim auf, die Leute dort werden sich freuen! Und du wirst besser werden, weil du merkst, was du falsch machst.
Haben Sie selbst einmal einen Rat von einem ihrer Helden bekommen?
Roy Orbison hat mir einen tollen Rat gegeben. Meine Songs sind oft ein bisschen düster, hat er gesagt, deswegen versuche ich immer einen Hoffnungsschimmer reinzubringen. Hören Sie sich mal »Pretty Woman« an: Das Mädchen hat ihn verlassen, alles ist ziemlich traurig, aber dann kommt der Schluss: »Wait, what do I see?/ Is she walking back to me?« Er hat das in vielen Songs so gemacht und ich habe es auch ein paar Mal probiert.
Zum Schluss muss ich noch erwähnen, dass ich bei einer Ihrer ersten Shows in Deutschland war, 1987 in Berlin. Können Sie sich noch an das Konzert erinnern?
Fand es in einem Zelt statt?
Ja, einem alten Zirkuszelt. Der Veranstaltungsort nannte sich Tempodrom.
Ich erinnere mich. Hinter dem Zelt standen Wohnwagen herum, und es gab sogar ein paar Tiere. Vor dem Konzert haben wir die Schweine gefüttert. Ich weiß auch noch, dass wir den alten Countrysong »Fraulein« gespielt haben, den leider keiner kannte. (Er singt) »Far across the deep blue water / Lives an old German's daughter«. Die Mädchen haben mich angeguckt, als ob ich spinne.