No Milk today

Bei manchen Frauen klappt anfangs das Stillen nicht. Das Ergebnis: Brustwarzen, die aussehen wie grobe Mettwurst. Noch viel schlimmer findet unsere Kolumnistin, die Hebamme, aber die Versagensängste, die die Mütter deshalb verspüren.

illustration: Cynthia Kittler

Neulich nach Feierabend, ich schenkte mir daheim gerade ein Glas Wein ein, rief mich mein Kumpel Philipp an: »Maja, wir brauchen dich. Silvi heult nur noch. Ihre Brustwarzen sehen aus wie grobe Mettwurst und die Kleine schreit seit Stunden.«

Er hatte noch nicht aufgelegt, da war ich zur Tür raus. Wenig später stand ich in Silvis Flur: Sie hatte strähniges Haar, ein müdes Gesicht und rotgeweinte Augen. »Im Krankenhaus hat es noch einigermaßen geklappt«, schluchzte sie, »aber jetzt trinkt sie einfach nicht mehr und unsere Hebamme ist im Urlaub.« Ich nahm ihr das schreiende Baby ab und wies Philipp an, ein paar Brote zu schmieren. »Aber ich muss doch... ich kann nicht mehr,« rief Silvi hysterisch. »Du musst jetzt erstmal gar nichts – außer dich ausruhen. Philipp und ich übernehmen fürs erste.« Als Still-Sergeant kann ich sehr bestimmt sein. Sie fügte sich und mümmelte sich in ihre Decke, ich packte die Schokolade und das Spezi aus, das ich beides auf dem Weg noch beim Kiosk geholt hatte.

Dann inspizierte ich Silvis Brüste. Philipps Vergleich traf es ganz gut, wobei ich statt von grober Mettwurst eher von französischer Baguette-Salami (die mit der weißen Haut) sprechen würde. Die Warzenhöfe sind in der Schwangerschaft ja stärker pigmentiert (ein Trick der Natur, damit das Baby, das anfangs nur Hell und Dunkel unterscheiden kann, den Weg findet), aber an ihrer Stelle hatten sich zwei 50-Cent-große krustige Wunden gebildet. Der Rest der Brust: prall angefüllt und von Venen gezeichnet. Statt Milch tropfte Blut aus Silvis Nippeln – au au au!

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Jede Frau, die einmal beim Sex erlebt hat, dass sich der andere etwas zu intensiv mit den Brustwarzen »beschäftigt« hat, weiß, wie weh das schon beim Duschen danach tun kann. Denselben Menschen drei Stunden später nochmal die Brüste zu lassen, ist undenkbar! Aber genauso ist es mit Baby: Dort, wo es irre weh tut, will unbedingt ein kleiner gieriger Vampir saugen.

Während die kleine Sophie irgendwann auf meinem Arm eingeschlummert war, kramte Philipp in meinem Etui nach Salben und stieß dabei auf allerhand Hilfsmittel. Auf Gel-Pads, Brusternährungssets, Stillhütchen, eine Milchpumpe und sogar Brustwarzenformer für Frauen mit Schlupfwarzen, das sind Nippel, die nach innen geformt sind. Die Still-Renaissance der letzten Jahre hat zu einer kleinen Produkt-Inflation geführt. Man kann entzündete Brustwarzen inzwischen auch mit einer Softlasertherapie behandeln, aber bei Silvi würde es fürs erste eine Wundheilsalbe und ein Schmerzmittel tun. Vorsichtig cremte Philipp seine Freundin ein, die währenddessen jammerte »Ich mag nicht mehr, ich mag nicht mehr...«

Vor sechs Tagen hatte sie entbunden, seit drei Tagen war sie nun daheim und seit heute: ein Still-Zombie. Auf diese Spezies treffe ich bei der Wochenbettbetreuung des Öfteren. So übermüdet und mit den Nerven am Ende zu sein, muss heftig sein. Was das ganze vertrackt machte: Silvi hatte, als im Himmel die Allergien verteilt wurden, ein bisschen zu laut »hier« geschrien. Es gab mehr Obst und Gemüse, das sie nicht essen konnte, als solches, das sie vertrug. Sie erhoffte sich, dass ihr Kind durch das Stillen besser vor Allergien geschützt würde als mit Ersatznahrung. Was etliche Studien ja nahelegen.

Ich verstand meine Freundin ja: Da predigt die ganze Welt, inklusive wir Hebammen, wie wichtig das Stillen für dein Kind ist, und dann klappt es nicht. Das Gefühl von persönlichem Unvermögen und Angst macht sich breit, das eigene Kind nicht satt zu bekommen. Frauen sind sehr gut darin, sich sehr früh schon für eine schlechte Mutter zu halten.

Manche haben anfangs sogar solche Schmerzen, dass sie mir unter Tränen anvertrauen, in ihren schwärzesten Stunden Aggressionen gegen ihr Baby bekommen zu haben. In solchen Fällen hilft durchaus mal der Griff zur Flasche. Also zum Fläschchen.

Was auch viele Frauen in den ersten Tagen zur Milchpulver-Fraktion überlaufen lässt: Anfangs trinken die Babys irre langsam: Sie saugen, rutschen ab, saugen, rutschen ab, pennen ein, wollen saugen. Gerade für Frauen, die vorher sehr aktiv waren, die – wie Silvi – vor der Arbeit joggen gegangen sind, in der Mittagspause Besorgungen erledigt haben und abends mit Freundinnen unterwegs waren, ist die Umstellung auf das Dasein als stark frequentierte Tankstelle deprimierend.

Aber es wird schnell besser. Meist nach zwei, drei Wochen hat man den Dreh raus, das Baby trinkt schneller und das Leben wird wieder mobiler.

Die Kleine schlief nun seit Stunden, und ich hatte ein Stück Schokolade nach dem anderen in Silvi hineingesteckt und ihr währenddessen vom Leben »draußen« erzählt, von meinem Alltag im Krankenhaus, vom Date mit Jakob und einer Hochzeit, auf der ich neulich war. Als das Baby sich rührte und quäkte, fragte ich Silvi: »Sollen wir es nochmal probieren?«

Ich drapierte das Stillkissen, tüftelte mit ihr nochmal am Nippel-Mund-Einfall-Winkel herum und dann legten wir das Baby nochmal an. Und. Es. Lief. Sophie blickte mit großen Augen ihre Mutter an und patschte, wie um »Siehste!« zu sagen, mit der Hand auf deren Brust.

Es gibt einen Ausdruck, wenn Babys nach dem Stillen selig vollgefuttert sind und so ein süßes kleines Buddha-Gesicht haben: der so genannte »milk bliss«. Genau den hatte Silvi jetzt auch. Sie war selig.