Ein Goethe-Zitat, das man lange nicht gehört hat: »Amerika, du hast es besser.« Goethe hatte ja keine Ahnung, was da noch kommen würde. Zumindest modisch läuft's, das Land kann eines der derzeit wichtigsten Modelabel in Sachen Zeitgeist vorweisen: Calvin Klein 205 West 39th, und dessen Show war der Höhepunkt der gerade laufenden New Yorker Modewoche.
Für den belgischen Designer Raf Simons könnte die Entscheidung für seine aktuelle Wahlheimat anscheinend nicht besser sein: der Westerntrend hält weiter an, die Liebe der Designer zu Overalls und amerikanischer Workwear ist diesen Herbst neu entfacht – das geht alles zu großen Teilen auf Simons’ Konto, der sich in seinen Entwürfen unermüdlich am amerikanischen Traum wie Albtraum abarbeitet.
Heute Nacht präsentierte er seine vierte Kollektion für das Haus und im Internet dürften davon ausgehend jetzt massenhaft zwei Filme runtergeladen werden: Spielbergs Der weiße Hai und Die Reifeprüfung mit Dustin Hoffman. Die beiden amerikanischen Klassiker waren die Leitmotive von Simons' Entwürfen für nächstes Frühjahr. Für die T-Shirts mit dem »Jaws«-Filmplakat kann man sich eigentlich schon jetzt auf die Warteliste setzen lassen; oder im Copyshop seines Vertrauens selbst sein Glück versuchen. Der zweite Film passt zu dem, was man pünktlich zum Schulanfang auf den Laufstegen gesehen hat: »Graduation Caps« und -Umhänge wie bei den klassischen Abschlussfeiern an High School und College. Accessoires, die demnächst reihenweise in Modemagazinen zu sehen sein dürften (zugegeben, eher weniger auf der Straße).
Aber interessant ist das natürlich schon, wenn da Models nicht bloß mit den immer gleichen Collegeschuhen, sondern mit den Insignien der akademischen Würde über den Runway spazieren. Schock deine Eltern – lies ein Buch. Schock Sie noch mal – mach einen Abschluss. Endlich Mode für das Bildungsbürgertum.
Aber ist Bildung gerade wirklich so erstrebenswert? Oder sagen wir – weil es ja hier um Mode und Anziehungskraft geht – sexy? Mit Donald Trump ist schließlich ein Präsident am Werk, der zwar offensichtlich einen Studienabschluss in Wirtschaft vorweisen kann, aber keineswegs eine Harvard-Karriere wie sein Vorgänger Barack Obama. Tesla-Gründer Elon Musk brach sein PhD-Studium nach zwei Tagen ab, um lieber gleich ein Unternehmen zu gründen. Die jüngste Self-Made-Milliardärin Kylie Jenner, 21, hat gerade mal die Highschool absolviert. Und das derzeit gefragteste Model, das ebenfalls mit sogenannter »Mörtelmütze«, wie die Collegehüte auch genannt werden, über den Laufsteg schritt: Kaia Gerber, Tochter von Cindy Crawford, die als gerade mal 17-Jährige noch keinen einzigen Abschluss in der Tasche hat; und ihn für ihre aktuelle Karriere wohl auch nicht brauchen wird.
Andererseits gibt es in Deutschland so viele Studierende wie nie zuvor. Was natürlich hocherfreulich ist – aber damit längst auch Mainstream. Taugt der Bachelorhut da noch als Distinktionsmerkmal? Wo doch der jungen Generation angeblich ohnehin nichts über Individualität geht? Eher nicht.
Kopf einschalten schadet allerdings grundsätzlich nicht. Denn auch Simons eigentliche Botschaft geht erwartungsgemäß über das allzu Offensichtliche hinaus: Sowohl Der weiße Hai als auch Die Reifeprüfung handeln von Gefahr. »Sehr oft fühlen wir uns von Dingen angezogen, von denen wir eigentlich wissen, dass sie gefährlich sind. Trotzdem können wir nicht die Finger davon lassen«, erklärte er nach der Show. Der erfolgreiche »Graduate« Dustin Hoffman fängt bekanntlich erst ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau an, danach mit ihrer Tochter. In dieser Hinsicht sind alle gleich. Wir alle spielen gelegentlich mit dem Feuer. Manchmal führe das zum Desaster, manchmal könne auch wieder etwas Schönes daraus entstehen, meint Simons. Zumindest seine Mode scheint wie die perfekte Allegorie darauf.
Jetzt muss man sich die Sachen nur noch leisten können. Und wer verdient im Vergleich immer noch mehr? Die ohne oder mit Studienabschluss? Genau. Viel Spaß im neuen Schuljahr.
Typischer Instagram-Kommentar: »Never too cool for school!«
Das sagen die Eltern: »RAF? Das kommt mir nicht ins Haus!«
Das sagen die Kinder: »Steht mir eh nicht dieses Mörtel-Ding.«